Erich Schmid

Recherchen-Bericht

zu Vorwürfen in der SonntagsZeitung vom 14. Januar 1996

Vorbemerkung

In der Schweiz gilt die LTTE im Gegensatz zu Amerika (USA und Kanada) nicht als "terroristische Organisation". Deshalb wird hier nicht differenziert zwischen WTCC und LTTE. Das WTCC (World Tamil Coordinating Committee) ist eine weltweite tamilische Exilorganisation, welche sich auf die tamilische Kulturpflege im Exil und in Sri Lanka konzentriert. Seine Verbindung zur LTTE, der nur in Sri Lanka operierenden bewaffneten Befreiungs-Kampforganisation, besteht darin, dass es dem WTCC als einer von wenigen Institutionen möglich ist, Aktivitäten in Gebieten zu entwickeln, die unter Kontrolle der LTTE stehen. Neben dem WTCC haben in LTTE-kontrollierten Gebieten Sri Lankas nur wenige ausländische Organisationen Zugang zu diesen Gebieten, so unter anderem das ICRC (International Committee of the Red Cross), MSF (Médecins Sans Frontière) oder das tamilische Hilfswerk TRO (Tamil Rehabilitation Organisation). Die TRO erhält namhafte Unterstützung vom WTCC. Das WTCC ist im Gegensatz zu den LTTE keine Kampforganisation. Das WTCC unterstützt jedoch mit gewaltfreien Mitteln politische Ziele, von denen sich die tamilische Minderheit Schutz, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung erhofft.

Die hier vorliegenden Recherchen wurden zum grossen Teil von Erich  Schmid, Filmemacher und Sri Lanka-Experte in Zürich, im Februar 1996 vorgenommen, also mehrere Wochen vor der "Koordinierten Polizeiaktion" vom 10. April 1996. Bei dieser Aktion wurden der im hier untersuchten Artikel der SonntagsZeitung hauptbeschuldigte Muralitharan Nadarajah  zusammen mit 14 weiteren Tamilen verhaftet.

Der Gegenstand dieser Recherche, nämlich der Artikel in der Sonntagszeitung, war möglicherweise Bestandteil einer Kampagne im Vorfeld der Verhaftungen. Es wäre deshalb aufschlussreich gewesen, zu erfahren woher der Verfasser des Sonntags-Zeitungs-Berichts, Ronald Sonderegger, die Informationen bezogen hatte. Leider ist dies nicht mehr eruierbar, da Ronald Sondegger in der Zwischenzeit starb. Sondereggers Todesursache war Malaria, eine Krankheit, die er sich während seiner Ferien in Afrika zugezogen hatte.

Allgemeine Vorwürfe

Die Vorwürfe der SonntagsZeitung publizierte Ronald Sonderegger† in der Ausgabe vom 14.1.1996. Für den vorliegenden Recherchebericht ist die detaillierte Kenntnis dieses Zeitungsartikels Voraussetzung. Die Vorwürfe der SonntagsZeitung werden hier nicht wiederholt. Diese sind in  der SonntagsZeitung vom 14.1.1996 nachzuschlagen.

Der Journalist Ronald Sonderegger† (verstorben) warf in der SonntagsZeitung vom 14.1.1996 den WTCC-Angehörigen in der Schweiz und insbesondere dem Chef der WTCC in der Schweiz, Muralitharan  Nadarajah, unter dem Titel "Gewalt, Tote: Tamilen erpressen  Schutzgelder in Millionenhöhe" auf der Frontseite "Mafia-Methoden"  vor, mit deren Hilfe tamilische Landsleute in der Schweiz unter Druck gesetzt würden. Mit gewaltsamen Methoden würden in unserem Land Schutzgebühren eingezogen.

Im Zeitungsartikel wird unter anderen Marcel Bébié‚ Chef der Stadtzürcher Kriminalpolizei, zitiert: "Die Tamilen sind aktiv in der Entführung und Misshandlung von Landsleuten, um Schutz- und Spendengelder zu erpressen".

Sonderegger† präzisierte: "Dahinter steht eine straff strukturierte Gruppe: die (...) LTTE". (...) "Als Kopf der Gruppe gilt (...) Muralitharan Nadarajah" (...) "Die Erpresser stellen Schlägertrupps zusammen".

Sondereggers Quellen

Quelle: "Zentralstelle der Polizei"

Abgesehen vom Vorfall "Dagmarsellen" (vgl. im vorliegenden Recherchen-Bericht unten "Quelle Untersuchungsrichter Franz Kurmann" und "Vorfall Dagmarsellen") sind die Vorwürfe an die WTCC vorerst allgemein gehalten, wobei die Quellen zunächst nicht genannt werden.  Am Ende der allgemeinen Vorwürfe kommt Sonderegger† indessen auf  die Kantonspolizei Zürich zu sprechen, die "neu eine gesamtschweizerische Zentralstelle für Schutz- und Spendengelderpressung eingerichtet" habe. Es wäre deshalb naheliegend, dass sich Sonderegger† auf einen Informanten dieser "Zentralstelle" gestützt hätte. Wie oben erwähnt, kann man ihn leider nicht mehr fragen. Indes ist bekannt, dass eine gesamtschweizerisch koordinierte Ermittlungsstelle eingerichtet wurde, und zwar auf Initiative des in Sachen Tamilenermittlungen engagierten Burgdorfer Untersuchungsrichters Urech,  der mit einem von Sonderegger† nicht erwähnten Fall von "Freiheitsberaubung, Entführung und Raub" unter Tamilen beschäftigt war und feststellen musste, dass alle Ermittlungsfäden schlussendlich "nach Zürich laufen", wie er sich ausdrückte.

Nach Angaben von Untersuchungsrichter Urech haben ursprünglich auf  seine Initiative hin bereits zwei interkantonale Koordinationssitzungen zwecks Zusammenlegung aller Verfahren gegen Tamilen in Zürich stattgefunden, die letzte Ende Januar  1996. Die Ermittlungen laufen jetzt alle via Kantonspolizei Zürich. Wieweit die Stadtpolizei Zürich daran beteiligt ist, weiss Urech nicht.

Untersuchungsrichter Urech äusserste sich auf Anfragen zu diesem Recherchenbericht grundsätzlich sehr offen, aber zum Teil auch widersprüchlich. Er selber sagte, dass er sich durch diese Tamilenverfahren überfordert fühle.

Einerseits erwähnt Urech im Zusammenhang mit seinem Entführungsfall ein sogenanntes "Sedelspiel" oder "Zettelspiel", bei dem tamilische Fürsorgeempfänger angeblich fünfstellige Geldsummen einsetzen würden. Abgesehen davon, dass Urech dafür keine Beweise hat und dies  eher unwahrscheinlich klingt, dürfte dieses Gerücht wohl eher aus  einem diffusen Zusammenhang von Vorurteilen gegenüber Fremden allgemein stammen, denen gewisse Kreise so etwas zutrauen. Vergleichbar vielleicht mit dem in der Gassensprache laufend hergestellten  Zusammenhang zwischen Kosovo-Albanern und Drogengeschäften.

Untersuchungsrichter Urech wollte es jedoch genauer wissen und hat  12 bis 15 Inhaftierungen vorgenommen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei habe sich herausgestellt, dass Gruppen, die politisch die LTTE rivalisieren, involviert seien. Bei den Befragungen sei  eine "Riesenangst" vor den LTTE zutage getreten wegen Drohungen.  Auf die Frage, ob es sich dabei um Aussagen von LTTE-Rivalen handle, wusste Urech keine Antwort. Er habe nicht überprüft, ob die  Vorwürfe stimmen. Eine Bewertung sei ihm deshalb letztlich nicht möglich. Er überlasse das gerne den Zürcher Behörden, die nun bei den Ermittlungen federführend seien.

Quelle: "Chris" Mc Dowell

Auf Seite 3 der SonntagsZeitung vom 14.1.96 erwähnt Sonderegger† als Quelle einen englischen Soziologen namens Christopher McDowell.  Dieser "Chris", wie er sich bei seinen Ermittlungen jeweils in der Schweiz vorgestellt hatte, recherchierte vor gut zwei Jahren über die Tamilen im Ausland, um eine wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema zu verfassen. Chris wohnte zu diesem Zweck vier Wochen lang bei Herrn Rajalingam in Rapperswil, der im Tamil Peoples Shop (Lebensmittelladen) an der Heinrichstrasse in Zürich angestellt war und mit Muralitharan Nadarajah, der diesen Laden eröffnet hatte,  befreundet ist. Chris' Ehefrau arbeitete auf dem britischen Konsulat an der Dufourstrasse in Zürich. In seinem Buch stellt Chris McDowell Gelderpressungen in Abrede.

In der Edition "Berghahn books", Reihe "Anthropology/Development Studies/Refugee Studies" erschien ein 288seitiges Buch mit dem Titel "A TAMIL ASYLUM DIASPORA - Sri Lankan Migration, Settlement and Politics in Switzerland" vom Verfassser Christopher  McDowell, "Research Officer, Refugee Studies Programme, International Development Centre, University of Oxford"; ISBN 1-571181-917-7, hardback, ca. 35.-- engl. Pfund.

Quelle: Flüchtling Vijanathan Ratnacumar in Zürich

Auf Seite 3 der SonntagsZeitung vom 14.1.96 benennt Sonderegger† als weitere Quelle einen tamilischen (anerkannten) Flüchtling Vijanathan Ratnacumar, der gut Deutsch spricht und bekannt ist unter  dem Namen "Kumar" als Angehöriger der gegen die LTTE rivalisierenden Organisation PLOT. Die PLOT ist letztmals prominent in die Schlagzeilen geraten nach dem legendären Ueberfall auf die Inselrepublik Malediven, die dank einer Intervention der indischen Navy scheiterte. Die PLOT kooperieren in Sri Lanka mit den singhalesischen Regierungstruppen und werden deshalb von den meisten Tamilen als "Quislinge" (Verräter) bezeichnet. Die PLOT kämpfen nicht nur gegen die LTTE, sondern nehmen in Sri Lanka selber Verhaftungen vor. Bei Flächenverhaftungen in Sportstadien (vor allem während der IPKF-Präsenz) spielten die PLOT eine führende Rolle beim Ausfindigmachen von LTTE-Sympathisanten. Da in solche Suchoperationen jeweils zahlreiche unbeteiligte Zivilpersonen einbezogen werden, sind die Sympathien der PLOT unter den Tamilen praktisch auf Null gesunken. Die PLOT behindern mitunter auch die Tätigkeiten der NGOs, der Hilfswerke und des ICRC in den Kriegsgebieten Sri Lankas.

Kumar ist ein militanter LTTE-Gegner in der Schweiz und tritt als solcher immer wieder in der Oeffentlichkeit auf. Bei den Medien ist er insofern eine dankbare Auskunftsperson, als er fliessend Deutsch spricht und deshalb bei den Redaktionen Vertrauen zu erwecken vermag.

Langezeit war auch die sogenannte Autonome Linke von Kumar und seiner PLOT begeistert, ebenso wie die kommunistische Partei der Arbeit (PDA), weil sich Kumar stets "politisch korrekt" als Sozialist ausgibt. Die PLOT ist jedoch eher eine zwielichtige Organisation (Malediven Coup, Quislingdienste), die den Sozialismus als Aushängeschild auf ihre Traktate und die Fahne geschrieben hat.

Aber man sollte Kumar nicht dämonisieren. Denn als Berater bei der PDA-nahen Arbeitslosenstelle "Impuls" in Zürich leistet er wertvolle Sozialarbeit und den bietet den ratsuchenden Tamilinnen und Tamilen brauchbare Lebenshilfe an.

Kumar wird von Sonderegger† im Zusammenhang mit der Adliswiler Tempelgeschichte zitiert, welche das TV-Magazin 10vor10 (Autorin: Lekha Sarkar) ausgestrahlt hatte. Diese Sendung enthielt derart krasse  Unwahrheiten, u. a. eine verhängnisvolle falsche Uebersetzung eines abgebildeten Flugblattes, dass Rechtsanwalt Gian Andrea Danuser, Freyastr. 27, 8004 Zürich, erwog, eine Beschwerde gegen das Schweizer Fernsehen einzureichen, was er dann jedoch unterliess, um die alten fremdenfeindlichen Vorurteile gegenüber den Tamilen nicht zu bestätigen.

Quelle: Franz Kurmann, Untersuchungsrichter Willisau LU

Im Zusammenhang mit dem Vorfall im luzernischen Dagmarsellen im Januar 1996 zitiert Sonderegger† den zuständigen Untersuchungsrichter  Franz Kurmann mit der Aussage, vieles deute darauf hin, "dass Schutzgelderpressung mit im Spiel war". Von diesem Zitat distanzierte sich Kurmann auf Anfrage (vgl. unten Vorfall Dagmarsellen).

Detaillierte Vorwürfe, einzelne Vorfälle

Nach den allgemeinen Vorwürfen der SonntagsZeitung, die einigermassen geschickt kombiniert sind mit dem Aufwärmen der alten "10vor10"-Story des Fernsehens von Lekha Sarkar und angereichert mit dem Zitat eines nicht identifizierten Boutique-Besitzers, der gesagt haben soll, dass er geschlagen und bedroht worden sei, als  er sich weigerte der LTTE Schutzgelder zu zahlen und dass er seither regelmässig zahle - nach diesen Behauptungen schreibt Sonderegger† konkret zur Sache und schildert einzelne Vorfälle, um seine Behauptungen zu untermauern, wobei er einräumt, dass "indes unklar ist, ob in allen Fällen Schutzgeld-Erpressungen Tatmotiv war".

Die Aufgabe der Recherche war es, die einzelnen von der Sonntags-Zeitung erwähnten Vorfälle, welche die behaupteten Schutzgeld-Erpressungen beweisen sollten, auf den Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

Vorfall 1

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Messerstecherei in Baar im Juli 1991

Im Fall Baar hatte die Koordinationsstelle für Tamilen Kanzlei Zürich den drei damals inhaftierten tamilischen Asylsuchenden einen  Verteidiger vermittelt: Rechtsanwalt David Husmann in Affoltern am Albis im Kanton Zürich. Nach Bekanntwerden der Tat hiess es in der  Oeffentlichkeit zuerst, das Motiv sei eine gewalttätige Eintreibung von Spendengeldern für die LTTE gewesen. In mindestens einer srilankischen Zeitung wurden daraufhin die vollen Namen der drei vermuteten Täter publiziert, um die angeblichen LTTE-Praktiken in der Schweiz in Sri Lanka propagandistisch auszuwerten.

Da die drei als Kriminelle nach dem Willen des damaligen Delegierten für das Flüchtlingswesen (DFW), heutige Bezeichnung Bundesamt  für Flüchtlinge (BFF), sofort hätten ausgeschafft werden sollen,  ergriff Rechtsanwalt David Husmann das Rechtsmittel der Revision.  Seine Begründung: Die drei verhafteten Tamilen wären an Leib und Leben bedroht, sollten sie tatsächlich nach Sri Lanka ausgeschafft  werden, weil die srilankischen Zeitungen seine Mandanten als LTTE-Angehörige bezeichnet hatten.

In diesem Fall intervenierte jedoch das UNHCR in Genf, das in einem  Brief vom 8. August 1991 von sich aus den Rechtsanwalt David  Husmann auf die in Sri Lanka erschienenen Zeitungsartikel aufmerksam machte. Konkret warnte die UNO-Unterorgansisation UNHCR vor der beabsichtigten  Ausschaffung der drei verhafteten  Tamilen wegen ihrer Gefährdung.

Das Eidgenössische Justiz und Polizeidepartement (EJPD) lehnte Rechtsanwalt Husmanns Eingabe am 12. Februar 1992 jedoch ab mit der Begründung,  dass "kein Indiz für  dessen  Mitgliedschaft bei der LTTE" vorhanden sei. Die schweizerische Justiz negierte also einen materiellen Zusammenhang zwischen dem Vorfall und den LTTE. Ungeachtet davon bestand nach Ansicht des UNHCR gleichwohl eine Gefährdung, weil die erwähnten Tamilen in Sri Lanka als LTTE-Mitglieder bezeichnet worden waren, auch wenn dies nicht den Tatsachen entspricht.

Sonderegger† schreibt jedoch am 14.1.96 in der  SonntagsZeitung: "Laut Polizei gehörten die Täter zu den Tamil Tigers" (LTTE). Dies steht im Widerspruch zu den Ausführungen des EJPD. Zudem erklärte der örtlich zuständige Zuger Verhörrichter Nyffeler auf Anfrage für diesen Recherchenbericht im Februar 1996: "Dass in Baar Schutzgeld erpresst worden ist oder die  LTTE involviert gewesen wären, das war eindeutig nicht der Fall".

Der Vorfall sei zudem längst mit einer rechtskräftigen  Verurteilung  wegen Körperverletzung durch das Strafgericht  des  Kantons Zug abgeschlossen. Sonderegger† hätte dies als akkreditierter Gerichtsberichterstatter im entsprechenden Gerichtsurteil nachsehen können. Das tat er aber offensichtlich nicht und verbreitete eine Falschinformation.

Vorfall 2

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Tamile niedergestochen im August 1991 in Bern

Ueber diesen Vorfall, der sich angeblich auf der Kleinen Schanze in Bern ereignet hatte, war nichts in Erfahrung zu bringen. Die Behörden hatten überhaupt keine Kenntnis davon.

Vorfall 3

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Tamile erstochen in Herzogenbuchsee BE im März 1992

Der Hintergrund des erwähnten Tötungsdelikts war keine Geldangelegenheit der LTTE, sondern aufgeschlitzte Reifen an zwei Fahrrädern,  die den Töchtern des Täters gehörten. Die Mutter habe befürchtet,  dass die Reifenschlitzer ihre Töchter vergewaltigen, worauf der Vater einem der beiden das Messer in Leib rammte. Er wurde von der Berner Kriminalkammer zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Der  Fall erschien in den Zeitungen und war der Oeffentlichkeit bekannt.  Angesichts dieser Tatsache ist nicht nachvollziehbar, weshalb  Sonderegger† ihn im Zusammenhang mit LTTE-Geldern aufführte und Muarlitharan Nadarajah dadurch in Misskredit brachte.

Vorfall 4

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Messerstechereien im Mai 1992 in Zürich

Laut Sonderegger† kam es "im Mai 92 in Zürich innert weniger Stunden zu zwei Messerstechereien unter Tamilen. Zwei Beteiligte wurden verletzt. Andeutungen über Gelderpressungen konnten nicht erhärtet werden".

Im Zusammenhang mit einer Messerstecherei am 1. Mai 1992 kam es tatsächlich zu einer Anklage gegen Sympathisanten der LTTE, die jedoch mit Freisprüchen und Entschädigungen endete.

Die zweite Messerstecherei "innert Stunden" ist unbekannt, hingegen dürfte damit die Schlägerei vom 1. Mai 1991 gemeint sein, die ebenfalls zur Anklage kam und mit Freisprüchen endete.

Laut Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 25. Jan. 1993 waren die Anschuldigungen unhaltbar. Das Gericht hielt fest, dass die Aussagen der angeblich Geschädigten "widersprüchlich" waren, zudem "unbestimmt", "zu pauschal", "vollkommen unglaubhaft" - und auf sie "kann nicht abgestellt werden". Dies alles sind Zitate in der Urteilsbegründung des Bezirksgerichts Zürich.

Bei den erwähnten Vorfällen handelte es sich ganz offensichtlich um einen Versuch der PLOT-Gruppe, einzelne WTCC-Angehörige, darunter vor allem Muralitharan Nadarajah, strafrechtlich zu neutralisieren. Dass Sonderegger† einen abgeschlossenen Fall, bei dem ein Freispruch-Urteil vorliegt, das die WTCC auf der ganzen Linie entlastet, im Zusammenhang mit Anschuldigungen gegen die Muralitharan Nadarjah auflistet, ist nicht nachvollziehbar. Besonders nachdem Muralitharan  Nadarajah nachweislich auf der ganzen Linie freigesprochen und ihm vom Gericht eine Entschädigung zugesprochen wurde.

Vorfall 5

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Messerstiche töteten einen Tamilen in Zürich-5 im April 1993

Sonderegger† schreibt am 14. Januar 1996 zu diesem Vorfall (Zitat):  "Der Täter ist in Haft".

In Wirklichkeit endete dieser Fall längst vor dem Zürcher Geschworenengericht mit einem Freispruch wegen Notwehr. Der Täter wurde  von zwei Tamilen angegriffen und wehrte sich mit einem Kellnermesser. Hintergrund der Tat war laut Rechtsanwalt Rudi Lang, Usteristrasse 19, 8001 Zürich, nicht die LTTE, sondern ein Liebesverhältnis. Die  Neue Zürcher Zeitung berichtete darüber ausführlich in  ihrer Ausgabe vom 13./14. Mai 1995.

Weshalb  Sonderegger† dennoch von einem Täter schrieb, der sich in Haft befinde, und weshalb er einen Zusammenhang mit Muralitharan Nadarajah herstellte, ist angesichts der Zeitungsberichterstattung und des Gerichtsurteils mit Freispruch nicht nachvollziehbar.

Vorfall 6

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Toter Tamile auf der N1 bei Safenwil im Mai 1994

Sonderegger† schreibt dazu: Bei dem Fall eines auf dem Pannenstreifen aufgefundenen Toten vermute die Polizei eine  Abrechnung durch die Tamil Tigers.

In Wirklichkeit war es anders: Das Opfer war ein Angehöriger der WTCC, den die Täter überfielen und töteten, weil sie vermuteten, dass er gesammeltes Geld bei sich habe (was nicht der Fall war).

Dazu erklärte Untersuchungsrichterin Babette Althaus, Zofingen,  auf Anfrage: "Es war ein schlichter Raubmord".  Sie habe sich über den Artikel in der SonntagsZeitung geärgert und sich gefragt, woher der Journalist wohl die Informationen bekommen habe. Der eine Mittäter sei in Frankreich in Haft, wobei sich das Auslieferungsverfahren äusserst lange dahinziehe. Der andere Täter sei in der Schweiz inhaftiert.

Rechtsanwalt des in der Schweiz inhaftierten Täters ist Markus Henzer in Zofingen. Er meinte, sein Klient sei einmal ein WTCC-Mitglied gewesen. Eine Abrechnung schliesst er jedoch ebenso aus wie die Untersuchungsrichterin.

Sonderegger† hätte auch in diesem Fall ohne weiteres den  Anwalt oder die Untersuchungsrichterin anfragen können. Weshalb er es nicht getan hatte und stattdessen ungerechtfertigterweise einmal mehr im Gesamtzusammenhang Muralitharan Nadrajah anschuldigte, ist nicht nachvollziehbar.

Vorfall 7

SonntagsZeitung vom 14.1.96 Seite 3:

Messerstecherei nach Fussballspiel in Bern im Juli 1994

Zu diesem Vorfall erklärte Bezirksanwalt Geisseler in Zürich, der den Fall wegen eines in Zürich angeschuldigten Tamilen kennt: "Eine  Schutzgelderpressung oder ähnliches geht aus den Akten nicht hervor".

Rechtsanwalt Gian Andrea Danuser spricht im Zusammenhang mit diesem Fall, in den ein gewisser Danny Ranjan verwickelt ist, von "massiven Falschbeschuldigungen, Konstrukt, dilettantischem Versuch eines Komplotts, in den wahrscheinlich Geheimdienste involviert sind".

Weshalb Sonderegger† diesen Fall den LTTE und damit konkret Muralitharan  Nadarajah angelastet hatte, ist unklar, zumal Bezirksanwalt Geisseler auf Anfrage offen Auskunft gab.

Vorfall 8

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Doppelmord an Ehepaar in Niederönz BE im Dez. 1994

Auch hier scheint es sich nicht um das zu handeln, was Sonderegger† suggerieren wollte: keine Abrechnung innerhalb der LTTE oder WTCC, sondern unter PLOT-Leuten.

Der  Berner Kantonspolizist Kurt F. Schärer von der "Spezialfahndung 1, Dezernat Leib und Leben" negiert jeden Zusammenhang mit Schutzgeld- oder anderen Erpressungen der LTTE. Er kennt den Artikel von Sonderegger† und stellt sich vielmehr die Frage: "Woher hatte Sonderegger die Informationen"?

Der zuständige Untersuchungsrichter Pfister, Richteramt Wangen, bestätigte die Angaben von Kantonspolizist Schärer. Er wunderte sich, dass das Interesse am  Fall schon kurze Zeit nach der Tat komplett  nachgelassen hat. Wenn es sich um ein Schweizer Ehepaar gehandelt  hätte, meinte Pfister, dann hätten sich die Medien um den Fall  gerissen. (Der "Blick" habe ihm gesagt, es handle sich ja bloss um Tamilen, da habe man kein grosses Interesse.)

Laut der in Paris erscheinenden tamilischen Wochenzeitschrift "Eelam Murasu", die auch in der Schweiz erhältlich ist, handelt es sich beim Doppelmord in Niederönz um eine Abrechnung unter PLOT-Anghörigen. Der Artikelverfasser mit dem Alias-Namen "Nakkeeran" war selber führendes PLOT-Mitglied und schrieb, dass gegenwärtige PLOT-Leute für die Tat in  Niederönz verantwortlich seien.

Kurze Zusammenfassung dieses Berichts:

Der getötete Ehemann aus Niederönz mit dem Namen Jyathurai Uthayakumar ("Robin"), der einst Leibgardist des PLOT-Gründers und -Führers Umamakeswaran war, wurde verdächtigt, Umamakeswaran zusammen mit Freunden im Verlauf eines PLOT-internen Konflikts 1989 in Colombo umgebracht zu haben. Hinzu kam, dass Robin die PLOT laufend kritisierte, seit er in der Schweiz war. Robin habe seine politische Meinung geändert und die LTTE-Aktivitäten unterstützt, ohne jedoch der LTTE beigetreten zu sein. Aus diesen beiden Gründen sei er unbeliebt gewesen bei der PLOT.

Der Mörder sei ein gewisser "Charles", der in der Spaghetti Factory an der Niederdorfstr. 5 in Zürich arbeitete. Charles habe stets eine Brille und Bart getragen. Er habe sich einigen Tamilen anvertraut, dass er für eine bestimmte Mission in die Schweiz eingereist sei. Zusammen mit mindestens zwei Mittätern (tamilische Brüder, die im Gefängnis sind: einer heisst Chandran und kommt aus Genf, der andere nennt sich Bala und lebte in Bern) ging Charles in Niederönz  zur Ehefrau von Robin und zwang sie, Robin anzurufen und unter einem Vorwand nach Hause zu locken. Als Robin nach Hause kam, wurde er zusammen mit seiner Frau erschossen. Die Frau musste sterben, einzig weil sie Augenzeugin war und "Charles" wahrscheinlich erkannt hatte, denn "Charles" war einst bei ihrer Hochzeit als Gast erschienen. "Charles" wurde inzwischen in der Gegend des srilankischen Armeestützpunkts von Vavunyia gesehen, wo er im Dienste der PLOT Schutzzölle für Hilfsgüter, die für die Hunderttausenden von Vertriebenen in der Gegend von Kilinochchi bestimmt sind, eintreiben soll.

Vorfall 9

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Entführte Tamilin in Aarau, Mai 1995

Bei der entführten tamilischen Frau im Mai 1995 in Aarau handelt es sich um Babyrany Parameswaran, Ehefrau von Balasingam Parames-waran. Nach Angaben des Ehemannes hat sich folgendes abgespielt: "Vor einem Jahr borgte ich 5'000 Franken von Gopi und 2'000 Franken von Daya, um Möbel zu kaufen für unsere Wohnung. Um das Geld zurückzubekommen, entführten die beiden Gläubiger meine Frau Babyrany. Eines Abends, als Babyrany allein zuhause war, kamen Gobi und Daya und sagten ihr: 'Dein Mann bat uns, dich zu ihm zu bringen'.  Sie forderten sie auf mitzukommen. Als Babyrany sich weigerte, zwangen sie sie, schleppten sie aus dem Haus und nahmen sie mit.  Einige Schweizer, die unter unserer Wohnung arbeiteten, waren Zeugen, dachten sich aber, die Frau sei krank gewesen. Als ich dies erfuhr, ging ich zur Polizei in Aarau".

Der Pressesprecher der Kantonspolizei in Aarau, Herr Woodtli, verneinte jeden Zusammenhang mit der LTTE und sprach von "Spielschulden" als Tatmotiv.

Sonderegger† hatte sich nicht die Mühe genommen, bei der zuständigen Pressestelle nachzufragen und sprach von Gelderpressung, die  er im Gesamtzusammenhang eindeutig in die Nähe der WTCC-Aktivitäten und Muralitharan Nadarajah rückte.

Vorfall 10

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Massenschlägerei nach Fussballspiel in Zürich im Juli 1995

Ueber diesen Vorfall war bei den Behörden nichts bekannt.

Vorfall 11

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Schiesserei auf dem Helvetiaplatz im Okt. 1995

Laut den Rechtsanwälten Marcel Bosonnet und Brigitt Thambiah, welche zwei der Angeschuldigten vertreten, sowie Rechtsanwalt Gian Andrea Danuser besteht zwischen dem Vorfall auf dem Helvetiaplatz und angeblichen LTTE-Aktivitäten kein Zusammenhang.

Vorfall 12

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 3:

Messerstecherei am "Zürifäscht" im Juli 1994

Ueber diesen Vorfall war bei den Behörden nichts bekannt.

Vorfall 13  

SonntagsZeitung vom 14.1.96, Seite 1 und Bildlegende Seite 3:

Toter in Dagmarsellen LU im Januar 1996

Laut Untersuchungsrichter Urech, Burgdorf, hat dieser Fall nichts mit Schutzgeld oder Spenden für die LTTE zu tun.

Der von Sonderegger† erwähnte Willisauer Untersuchungsrichter Franz Kurmann, erklärte auf Anfrage, es habe bei den verschiedenen Zeugenaussagen zwar Hinweise gegeben, dass Schutzgelderpressung mit im Spiel war. Ob die Aussagen jedoch zutreffen, wisse er nicht. Es seien einfach Behauptungen von Befragten gewesen, vor allem von einem der Befragten. Einen eindeutigen Schluss daraus zu ziehen, sei unmöglich. Die Sonntagszeitung habe in seinem Zitat "übertrieben"; er könnte es so nicht unterschreiben. Das Telefon mit Sonderegger† habe nur sehr kurz gedauert, und der Vorfall sei noch sehr frisch gewesen. Er habe damals noch wenige Erkenntnisse gehabt.

 

Zusammenfassung

Leserbriefe

Im Artikel von Sonderegger† in der Sonntagszeitung vom 14.1.96 ist  fast nichts wahr.

Die sich auf den Artikel vom 14.1.96 beziehenden Leserbriefe richteten sich konsequenterweise hauptsächlich gegen die Tamilen insgesamt und die angebliche Ueberfremdung der Schweiz. Die Sonntagszeitung titelte ein Woche später selber in Grossbuchstaben und Anführungszeichen: "Kriegstreiber raschmöglichst repatriieren, Herr Koller". (Der Justiz- und Polizeiminister Arnold Koller war der für die Ausschaffungen zuständige schweizerische Bundesrat).

Die 25'000 tamilischen Asylsuchenden in der Schweiz werden in den Leserbriefen als "25'000 Geldspender für uneinsichtige Kriegs-treiber" apostrophiert, die man (vgl. oben) "raschmöglichst" allesamt nach Sri Lanka zurückschicken sollte. Weiter: "Das Asylantenwesen darf nicht zu einem Kriminalimport führen". Von den Menschen,  die in der Schweiz Schutz vor dem Krieg in Sri Lanka suchten, ist in drei von vier Leserbriefen keine Rede.

Auswirkungen auf Betroffene

Muralitharan Nadarajah erhielt in der Folge der SonntagsZeitungs-Publikationen zahlreiche anonyme Briefe mit massiven Morddrohun-gen.

Die schlimmsten Auswirkungen dürfte der Artikel von Sonderegger† in Sri Lanka haben,  nachdem der ganze Bericht am 21. Januar 1996 in englischer Uebersetzung auch in der in Colombo herausgebenen Zeitung "The Island" erschien. In Sri Lanka werden die leichtfertig geäusserten Falschinformationen der SonntagsZeitung jene Vorurteile bestätigen, die das Land seit Jahren an den Rand des Ruins führen. Muralitharan Nadarajah wird dadurch noch mehr gefährdet, als er es  bereits durch die Sonntagszeitung vom 14.1.96 geworden war,  weil  nicht ganz auszuschliessen ist, dass die Morddrohungen dereinst noch wahr gemacht werden könnten.

Der Nachahme-Effekt bei den Medien

Der als Sensation plazierte Artikel in der Sonntagszeitung provozierte eine Reihe von Nachziehern in der übrigen Presse. Die Sonntagszeitung gehört an Sonntagen zur allerersten  Pflichtlektüre für Journalisten, die sich Hinweise für ihre Zeitungen vom darauffolgenden Montag erhoffen. Die vorliegende Story erlaubte keine Nachrecherchen, weil die zuständigen Stellen für Nachfragen am Sonntag natürlich nicht erreichbar waren. Deshalb waren die am Montag erscheinenden Medien sozusagen gezwungen, sich auf die Recherchen von Sonderegger† abzustützen.

In der BündnerZeitung vom 15.1.96 schreibt der am Sonntag diensttuende Redaktor Georg Fromm, sonst zuständig für "Kultur", Auszüge aus der Sonntagszeitung ab und addiert als Eigenleistung die Anmerkung, dass Muralitharan Nadarajah seit sechs Jahren in Chur wohne. Das stimmte nicht, weil Murali erst seit kurzem in Chur wohnte und früher in Rodels zuhause war). Titelzitat Fromms: "Tamil Tigers: Dubioser Chef wohnt in Chur".

Die zweite  Eigenleistung Fromms war eine Anfrage an den Frepo-Chef Heinz Brand (SVP), der Murali als einen "gefährlichen Mann" bezeichnete, dessen Ausschaffung nach Sri Lanka überprüft werde.

Aufgrund der Sonntagszeitung und dem abgeschriebenen Bericht in der  BündnerZeitung zog das Schweizer Fernsehen DRS in der Tagesschau  nach, zuerst die Tessiner Redaktion, dann die Deutschschweizer.  Beide Berichte griffen wieder die Schutzgeld-Erpressungen auf und liessen wiederum Heinz Brand wie auch Muralitharan Nadarajah zu  Wort kommen. Diesmal erscheint jedoch das Wohnhaus von Muralitharan  Nadarajah an der Goldgasse 8 in Chur direkt im Bild mit genauer Ortsangabe.

Beide TV-Berichte wurden von Journalisten gemacht, die erst seit kurzem fürs TV arbeiten. Einer hatte gerade erst als Bündner Korrespondent  die Stelle angetreten, der andere war Volontär. Wäre  allenfalls etwas an der Goldgasse 8 in Chur passiert, was angesichts  der  Stimmung durchaus als  Möglichkeit  in  Betracht gezogen  werden kann,  weil anderswo auch  Anschläge  gegen Tamilen vorgekommen sind, und das Fernsehen wäre wegen seiner Berichterstattung mit öffentlicher Adressinformation für jede beliebige  Täterschaft kritisiert worden, so hätte man die Angelegenheit wohl als eine bedauerliche handwerkliche Panne von Anfängern darstellen können.

Problematisch erscheint jedenfalls, dass man Journalisten, die noch  nicht viel Erfahrung im Umgang mit Bildern und deren Wirkung hatten auf eine derart heikle Tamilenstory ansetzte.

Ende Januar 1996 wurde in St. Gallen in einem Waldstück ein erschossener Tamile aufgefunden. Während die Neue Zürcher Zeitung eine korrekt und neutral abgefasste Nachrichtenagentur-Meldung (SDA) abdruckte, titelte der Tages-Anzeiger am 26.1.96 auf Seite 16: "Opfer der 'Tigers'?". Noch einmal wurde der Sonderegger-Artikel  aufgewärmt von einem Schreibenden mit dem Kürzel (cis.),  und  nochmals  wird  der Zürcher Kriminalpolizeichef Bébié‚ zitiert: wahrscheinlich nicht authentisch, sondern auszugsweise aus der Sonntagszeitung vom 14.1.96.  Unüberprüft schreibt (cis.) die Falschinformationen von Sonderegger† ab. Auch der oben erwähnte Vorfall in Dagmarsellen, der auf Falschinformationen beruht, wird erneut erwähnt, um die Schutzgelder-Behauptungen zu unterstützen.

Verhaftungen

Knapp drei Monate nach dieser eigentlichen  Medienkampagne  durch die SonntagsZeitung und die am Montag erscheinenden Presseberichte erfolgte am  10. April 1996 eine "Koordinierte Polizeiaktion" gegen WTCC-Angehörige in der ganzen Schweiz.

Das  TV-Magazin 10vor10 (Reporterin: Michèle Sauvin, Ehefrau von FDP-Hardliner Filippo Leutenegger) war live dabei und  filmte,  wie eine maskierte und schwer bewaffnete Antiterror-Einheit im Kanton Graubünden die Wohnung von Muralitharan Nadarajah stürmte, in der sich  die hochschwangere Ehefrau und ihre drei  Kinder  befanden. Während  des Sturms auf die Wohnung, war Muralitharan Nadarajah übrigens bereits verhaftet.

In fünf Kantonen wurden 15 Tamilen festgenommen. Die Berichte in   den Medien zementierten das Bild, welches Sonderegger† in der SonntagsZeitung gezeichnet hatte.

Bis auf drei Tamilen wurden nach zwei Monaten alle Verhafteten  freigelassen. Der Untersuchungsrichter Thomas Leins erklärte Mitte Juni der Presse, dass sich die Untersuchungen schwierig gestalten. Zudem seien wichtige Zeugen nach ihren Aussagen untergetaucht. Muralitharan bleibe aber weiterhin in Untersuchungshaft.

Lange vor dem Erscheinen des SonntagsZeitungs-Bericht von Sonderegger† und vor der "Koordinierten Polizeiaktion" mit den Verhaftungen beklagten sich die WTCC-Angehörigen in der Schweiz immer wieder, dass sie Probleme mit kriminellen tamilischen Gangs haben, welche WTCC-Angehörige attackieren.

Verschiedentlich wandten sich WTCC-Mitglieder mit diesem Problem an die Polizei, die jedoch kein Interesse hatte zu intervenieren. Diese Konflikte haben im Vorfeld der Verhaftungen eskaliert.

Sie hatten jedoch nichts mit Geldsammlungen für Hilfsprogramme in Sri Lanka zu tun, sondern mit den gewöhnlichen Verbrechen des Alltags, die von den sogenannten tamilischen "Bahnhof-Gangs" ausgingen. Bekannt ist auch, dass diese im Grunde unpolitischen Gruppierungen auch Frauen belästigten und Schlägereien anzettelten.  Dabei scheint mitunter auch Alkohol eine wesentliche Rolle zu spielen.  Möglicherweise werden diese Gangs auch von politischen Gruppierungen,  die mit der WTCC verfeindet sind, missbraucht. Auf jeden Fall spielen diese Gangs mitunter die Rolle einer Art tamilischer Privatpolizei, die mit Gewaltmitteln  eingreift,  wenn ein säumiger Gläubiger im recht weitverbreiteten privaten Darlehenssystem unter den Tamilen die fälligen Raten nicht rechtzeitig zurückbezahlt.

Dass es die Untersuchungsbehörden schwer haben, sich in den komplizierten fremden Strukturen der tamilischen Kultur zurecht zu  finden, ist nachvollziehbar. Bisher war es diesen Behörden allerdings nicht eingefallen, sich bei jenen Institutionen zu informieren, die sich schon jahrelang mit den Tamilen in der Schweiz beschäftigen, etwa der Koordinationsstelle für tamilische Flüchtlinge in Thun, dem Christlichen Friedensdienst, den HEKS-Beratungsstellen und dergleichen.

Man gewinnt vielmehr den Eindruck,  dass die im dunkeln gebliebenen Auftraggeber der Zürcher Untersuchungsbehörden gar nicht auf rasche  Resultate aus sind und sich für die Strafuntersuchung schwache,  rasch überforderte Figuren aussuchten (wie etwa den Untersuchungsrichter Thomas Leins, gegen den sechs Jahre, nachdem er die Tamilen-Verfahren geleitet hatte, 2002 in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs in einem Rüschlikoner Ferienlager ermittelt wurde und der deswegen als Chef der Kinderschutzgruppe der Zürcher Justiz unverzüglich zurücktreten musste. Heute ist er gemäss Internetauftritt der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland Chef des Bereichs „Strafverfolgung Erwachsene“ der Zweigstelle Flughafen Abteilung D).

Dass es auf höherer (Bundes-)Ebene Drahtzieher im Hintergrund gibt,  dafür gibt es ebenfalls eine Reihe von Hinweisen, die allerdings  von den zuständigen Stellen dementiert (aber nicht widerlegt) werden.

Immerhin existiert das schriftliche Protokoll einer Sitzung  zwischen dem Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), wonach die srilankische Regierung auf die schweizerische Regierung Druck ausübte, damit man endlich gegen die WTCC in der Schweiz vorgehe. Das konkret ins Spiel gebrachte Druckmittel  war die seitens Sri Lanka  ausgesetzte  Verlängerung des bilateralen Rückschaffungsabkommens mit der Schweiz. Sri Lanka weigerte sich den entsprechenden Verlängerungsvertrag zu unterzeichnen, solange die Schweiz keine Anstrengungen unternimmt, um gegen die WTCC in der Schweiz vorzugehen. 

Die  Verhaftungsaktion vom 10. April 1996 erfolgte fast auf den Tag genau zu jenem Zeitpunkt, als Sri Lanka den bilateralen Vertrag endlich unterzeichnete.

Trotzdem negierten die schweizerischen Bundesbehörden natürlich jeden Zusammenhang zwischen Vertragsunterzeichnung und Verhaftungsaktion.

Prognosen (inzwischen wahr geworden)

Wollte man eine Prognose für den Ausgang des Verfahrens gegen die Angeschuldigten Tamilen wagen, dann könnte man sich aufgrund ähnlicher Ereignisse in der Vergangenheit ohne allzu waghalsige Hypothesen durchaus folgendes Zukunftsszenario vorstellen:

  1. Die Belastungszeugen bekommen kalte Füsse. Aber nicht etwa aus Angst vor der WTCC, wie die Untersuchungsbehörden zu behaupten versuchen. Diese Erklärung kaschiert lediglich das eigene Unvermögen, die Qualität der bisherigen Aussagen richtig einzuschätzen. Es geht letztlich nur darum, im Sinne der srilankischen Regierung die Geldsammlungen für die tamilischen Institutionen zu unterbinden.
  2. Die Anklage wird sich wohl weitgehend auf belastende Aussagen stützen müssen, die vor Gericht kaum standhalten werden. Mangels konkreten Belastungsmaterials wird es doch noch zu einem Testfall für die neue allgemein gehaltene Strafgesetzbestimmung im Zusammenhang mit einer sogenannten kriminellen Organisation kommen.

Anmerkung zum Vorfall 8

Der Chefredaktor der tamilischen Wochenzeitung "Eelam Murasu", Kandiah Garandran, fiel am Abend des 26. Oktober 1996 in Paris einem Mordanschlag zum Opfer. Aus unerfindlichen Gründen wurde Muralitharan verdächtigt, diesen politischen Mord in Paris geplant zu haben. Murali war jedoch zur Tatzeit immer noch in Untersuchungshaft im Bezirksgefängnis Zürich. Er wurde erst am 30. Oktober 1996 entlassen. Wegen Kollusionsgefahr war er in Einzelhaft und konnte bis zu seiner Entlassung nicht nach aussen kommunizieren. Demzufolge wäre ihm allein aus technischen Gründen weder eine Planung noch eine sonstige Beteiligung an diesem Verbrechen möglich gewesen.



Quelle: www.erichschmid.ch/data_publ/txt_103_de.php