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Meier 19

Texte zum Film


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Drehbesprechung

Meier 19 – ein Film über «1968»

Dass in den verknorzten Sechzigerjahren den Zürcher Polizisten der Zahltag gestohlen worden war, ist eine wunderbare Metapher für die damalige autoritäre Zeit.

Dass es einem Polizeioffizier, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Täter gewesen war, gelang, ungeschoren davonzukommen, ist ein Zeichen für die damalige Unterwürfigkeit und Obrigkeitsgläubigkeit. Ebenso dass es diesem Offizier möglich war, die Ermittlungen selber zu leiten und die Resultate mit seiner Unterschrift abzusegnen. Dass dieser Offizier als Vorgesetzter aber das Risiko eines Lohndiebstahls (zum Schaden seiner Untergebenen) eingehen konnte. Dass er sich dabei so sicher fühlen konnte, dass ihm, auch wenn der Verdacht auf ihn fallen sollte, nichts geschieht. Dass er sich dann tatsächlich selber durch ein falsches Alibi verdächtig gemacht hatte und ungeschoren davonkam.

Dies alles umschreibt die oben erwähnte Metapher, um die es in diesem Film geht.

Der damalige Sekretär des Polizeikommandanten hiess Arnold Winkler. Nach langem Zögern wagte er einmal, eine Frage dazu zu stellen. Da schrie sein Vorgesetzter, indem er Nase an Nase an ihn herantrat: „Herr Winkler, merken Sie es sich ein für allemal: ein Offizier stiehlt nicht!“ – Arnold Winkler dazu im Film: „Da wusste ich Bescheid. Aber ich bin mein Leben lang immer ein Duckmäuser gewesen. Man hat mich halt auch nicht anders erzogen als zum Respekt vor den Oberen ...“

Wohl kaum jemand hätte die Befindlichkeit dieser 60er Jahre einfacher und ehrlicher ausdrücken können als dieser kleine Sekretär im hohen Alter.

Wie bei den meisten Straftaten waren es auch hier die Umstände, die dafür sorgten, dass der Zürcher Zahltagsdiebstahl überhaupt möglich gewesen war. Bei der Täterpersönlichkeit ist eigentlich nur interessant und aufschlussreich, dass er offenbar genügend intelligent war, um die Zeitumstände zu erkennen, zu nutzen und die Chance für eines der lausbübischsten Verbrechen, das man sich ausdenken kann, zu ergreifen. Es war keine Gewalttat, aber in jenen Zeitumständen ein zynischer Akt der Demütigung, ein symbolhaftes hierarchisches Manifest von oben gegenüber den Fusssoldaten, die der Täter vor der ganzen Bevölkerung der Lächerlichkeit preisgeben wollte. Dies war ihm gelungen, denn die Meldung vom Lohndiebstahl bei der Zürcher Polizei ging (noch vor Anbruch des Medienzeitalters) rund um die Welt.

Es war vielleicht die letzte Gelegenheit, denn kurz darauf kämpfte die revoltierende Jugend weltweit gegen jene autoritären Gesellschaftsstrukturen, die eine solch dreiste Tat überhaupt ermöglichten.  

Meier 19 war ein Detektivwachtmeister, der dem Polizeioffizier auf die Schliche gekommen war. Er wurde zum Symbol der Zürcher 68er-Bewegung, da er als einziger Polizist nicht bereit war, die Umstände schweigend hinzunehmen. Er stellte sich mutig gegen die Vorgesetzten, ging mit den Fakten an die Öffentlichkeit und landete zum Schluss dort, wo eigentlich der Zahltagsdieb hingehört hätte: im Gefängnis.

Meier 19 wurde als Detektiv ungewollt zum Helden der Strasse, die 1968 der antiautoritären Jugendbewegung gehörte, während die autoritäre Obrigkeit vor Angst zitterte und den Armeeeinsatz erwog. Es war darob bloss folgerichtig, dass die Zürcher Regierung, um dies zu vermeiden, alle Hoffnungen auf die Polizei setzte. Doch stand sie vor der Frage, ob sie es sich in dieser Situation noch leisten könnte, einen hohen Polizeioffizier als Zahltagsdieb blosszustellen. Denn dies hätte die Gefahr erhöht, die Glaubwürdigkeit der Polizei zu mindern und ihre Einsatzfähigkeit zu schwächen, während man sie dringend brauchte, um die Jugendrevolte niederzuschlagen.

Erstens wurde Meier 19 zum Sicherheitsrisiko und musste, da er trotz einem schönen Rentenangebot des Finanzvorstandes nicht stillhalten wollte, aus dem Verkehr gezogen werden. Zweitens durfte der Zahltagsdiebstahl nicht aufgeklärt und der mutmasslich diebische Polizeioffizier nicht verurteilt werden. Aber auf ihm, dessen Name der ganzen Stadt geläufig war, lastete fortan der Ruf, dass er höchstwahrscheinlich der Täter gewesen ist und dass er die ganze Zeit im Verlauf von mehreren Dutzend Gerichtsverfahren, die Meier 19 erfolgreich vernichteten, geschwiegen hatte.

Der Fall Meier 19 zeigt, wir anfällig und brüchig die demokratischen Prinzipen in Zeiten tiefgreifender politischer Umwälzungen und heftiger Auseinandersetzungen sind. Tatsächlich hätte die Aufklärung des Zahltagsdiebstahls aber das Vertrauen in die Regierung und die Dialogbereitschaft der Jugend gestärkt. Denn zu keiner Stunde war die Gefahr, die 1968 von der Strasse drohte, so gross, dass sich die Vertuschung des Polizistenlohn-Diebstahls und die Vernichtung von Meier 19 hätten rechtfertigen lassen.      

Meier 19 starb am 2. November 2006 im Alter von 81 Jahren in Zürich. Der von ihm beschuldigte Polizeioffizier Dr. Walter Hubatka, der als Chef der Kriminalpolizei die Ermittlungen im Zahltagsdiebstahl leitete, hatte sich frühzeitig pensionieren lassen und lebt in Zürich.


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Der Autor über seinen Film

Meier 19 ist ein durchkomponierter Film mit einem Anfang und einem Ende, ein realer dokumentarischer Kriminalfilm, von dem der „Tages-Anzeiger“ schrieb, er könne es „mit jedem Thriller aufnehmen“ (Christian Rentsch, 19.09.02). Tatsächlich greifen die einzelnen Sequenzen wie bei einem Zahnrad satt in die nächsten über und geben der Story mit voller Absicht etwas Zwingendes und Auswegloses. Wer die Poesie und die Dialektik in dieser Komposition sehen kann, hat mehr vom Film: es geht um Gerechtigkeit und Verachtung, um Hoffnung und Glauben, um Lebensfreude und Enttäuschung im Spiegel eines kleinen Mannes mit einem grossen Schicksal.

Was hat Detektivwachtmeister Meier 19 mit Jimi Hendrix zu tun? Der Film kommt immer wieder auf diese Frage zurück.

Kurt Meier (der wegen den vielen Meier bei der Stadtpolizei Zürich den Namen Meier 19 erhielt) hatte einen autoritären Vater, der seinerseits geprägt war von zwei Weltkriegen und vielen Entbehrungen. Der Vater war Fabrikarbeiter, hatte einen kleinen Bauernhof, ging als „Säcklipuur“ mit der eingepackten Mahlzeit zur Arbeit und amtete nebenbei als Sigrist (Küster). Die gleichzeitige Ausübung dreier Berufe, die Armut und der Ueberlebenskampf liessen kaum Zeit für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen, nicht einmal in der Familie.

Zu seinem verstorbenen Vater redet Meier 19 am Grab. Posthum wirft er dem Vater vor, er habe ihn einmal fast zu Tode geschlagen, er habe nur die Arbeit im Sinn gehabt und die Kinder total vergessen.

Aus dieser Kindheit erklären sich Meiers Autoritätsprobleme und sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Gesellschaftlich durch die Armut bedingt, war dies individuell einer der Gründe, weshalb sich Kurt Meier nach Sicherheit und Gerechtigkeit sehnte und diese Werte zu seinem Beruf machen wollte. Aber statt dieser Werte fand Meier 19 als Polizist wiederum autoritäre Verhältnisse in einem Beamtenapparat vor, der nicht frei von Begünstigung, Willkür und Korruption war.

Als wäre es die Klimax der damaligen Zeitumstände gewesen, wurden 1963 den Zürcher Stadtpolizisten aus dem Tresor der Hauptwache die eigenen Löhne gestohlen. Diese Ungeheuerlichkeit war für Meier 19 wie ein Fingerzeig Gottes, der ihm den Weg wies, um mit den korrupten Verhältnissen im Polizeikorps aufzuräumen. Sein dringender und berechtigter Tatverdacht fiel ausgerechnet auf den Chef der Kriminalpolizei, Dr. Walter Hubatka, der die Ermittlungen des Zahltagsdiebstahls leitete. Der Kripochef ein Dieb? Dies durfte nicht wahr sein. Schon gar nicht 1968. Autorität und Staatsgewalt durften in dieser Zeit der Jugendrevolten, in der die Gesellschaft nahe am Siedepunkt war, auf keinen Fall untergraben werden. Das war meines Erachtens der Grund, weshalb man den Kripochef nicht überführte, sondern denjenigen opferte, der ihn verdächtigte. Die Verantwortlichen sorgten dafür, dass Meier 19 alles verlor, was er hatte. Es war wie im Mittelalter, als der Ueberbringer einer schlechten Nachricht geköpft wurde.

Die Parallelität des weltweiten Jugendprotests und des Einzelkampfs von Meier 19 ergab sich durch den gemeinsamen Feind: das Establishment, welches sowohl die Jugendrevolte niederknüppeln liess wie auch die Existenz von Meier 19 vernichtete. Doch im Gegensatz zum verbissenen Kampf von Meier 19 protestierte die Jugend mit einer sinnlichen Leichtigkeit, die auf allen Ebenen der Kultur wie von selbst mit den kollektiven politischen Forderungen einher ging. Vor allem in der Pop- und Rockmusik wurden die jugendlichen Anliegen deutlich, und ihre Interpreten wurden gefeiert. Einer von ihnen war Jimi Hendrix, der mit seinen Gitarrenriffs die Emotionen einer ganzen Generation zum vibrieren brachte. Einer Generation, die sich in Zürich mit Meier 19 solidarisierte...

Ohne den emotionalen Aufbruch der 68er Revolte wäre Meier 19 ein bedeutungsloser verheizter Einzelkämpfer geblieben. Aber die Zürcher Jugend demonstrierte für ihn und machte seinen Namen zu einem (gefährlichen) Symbol, das geeignet war, die Glaubwürdigkeit und die Autorität der Zürcher Stadtpolizei zu untergraben - jener Polizei, die man dringend brauchte, um die Revolte niederzuschlagen. Mit dem Film beabsichtigte ich, dass der Name Meier 19 in seiner gesellschaftlichen Bedeutung vor allem in diesem politischen Kontext rezipiert wird. Da Meier 19 jedoch himself unpolitisch war, stellte ich seinen Konflikt und den Motor seines Handelns zum Schluss wieder in einen Zusammenhang mit dem persönlichen Drama zwischen Vater und Sohn.

Als Autor und Filmemacher habe ich immer wieder Figuren und Einzelpersonen gesucht, in denen sich die Geschichte spiegelt. Es ist die Tragik dieser Figuren, dass sie im Leben weitgehend scheiterten, aber der Nachwelt wertvolle Erkenntnisse hinterliessen - Menschen mit Schicksalen.

Erich Schmid


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Film „Meier 19“ – Dialogliste

Ein Film von Erich Schmid

Länge: 98 Min. 33 Sek. / 35 mm / 24 frs / 2780 m)

Rolle 1

Titel auf Schwarz

Daniela Lager (Dialekt):

Es geht jetzt darum, wo kann man mit den Worten die Bilder, die sie bereits gedreht haben, dann abgleichen. Der Erich braucht jetzt ungefähr eine Minute, um das geschwind zu checken.

Paul Bösch (Dialekt):

Es hat eine heisse Formulierung gegeben, wo du gesagt hast, dass er das gemacht habe. – Du meinst, er sei der Zahltagsdieb.

Meier 19 (Dialekt):

Nein. Das Alibi hat er ad acta gelegt. Das müsste ich so korrigieren. Denn dass ich nicht mehr sagen darf, dass er der Zahltagsdieb ist, das ist gerichtlich festgehalten. Das habe ich zugebilligt. Ich habe gesagt, das werde ich nicht mehr sagen.

Prolog des Films im TV-Studio, erstes Bild

Daniela Lager (Dialekt):

Jawohl. 10 Sekunden, dann können wir loslegen. Okay, du gibst mir das Top, wenn ihr soweit seid. – gut dann fangen wir an. Drei, zwei, eins...

Daniela Lager (hochdeutsch):

Guten abend meine Damen und Herren. Wir stellen Ihnen heute einen Gast vor, der in der Schweiz im sensiblem Bereich von Polizei und Justiz Geschichte gemacht hat: der ehemalige Detektivwachtmeister der Zürcher Stadtpolizei, Kurt Meier, bekannt geworden unter dem Namen Meier 19. Neben ihm Paul Bösch, langjähriger Redaktor beim „Tages-Anzeiger“. Er hat über Meier 19 ein Buch geschrieben, das in Zürich politische Folgen hatte.

Daniela Lager (Dialekt):

Herr Meier, eine grosse Überraschung. Sie haben vor kurzem vom Zürcher Stadtrat 50'000 Franken bekommen als Wiedergutmachung für ihre ungerechtfertigte Entlassung vor dreissig Jahren. Sie waren damals Detektivwachtmeister gewesen bei der Zürcher Stadtpolizei und haben gegen die Polizeiwillkür und gegen Korruption gekämpft. – Was haben Sie gefühlt, wo Sie nach dreissig Jahren jetzt recht bekommen haben?

Meier 19 (Dialekt):

Das hat mich natürlich ausserordentlich gefreut, und ich habe eine Hochachtung vor dem jetzigen Stadtrat. Er ist eingetreten für Fehler, die seine Vorgänger gemacht haben und hat mich teilrehabilitiert mit diesen 50'000 Franken, die natürlich nur ein kleiner Teil ist an den Schaden, der mir entstanden ist. Aber es ist ein sehr guter Anfang...

Daniela Lager (Dialekt):

Also für Sie ist es noch nicht fertig, jetzt?

Meier 19 (Dialekt):

Bitte?

Daniela Lager (Dialekt):

Also für Sie ist es jetzt noch nicht fertig?

Meier 19 (Dialekt):

...natürlich noch längst nicht fertig.

Daniela Lager (Dialekt):

Herr Meier, im Jahr 1963 sind den Zürcher Polizisten aus der Hauptwache Urania die eigenen Löhne gestohlen worden. Das war der gravierendste Kriminalfall gewesen, den die Polizei selber je betroffen hatte. Ihr Schicksal ist sehr eng mit diesem Fall verknüpft. – Was wissen Sie über den Tathergang?

Meier 19 (Dialekt):

Ja über den Tathergang war natürlich die ganze Mannschaft erschrocken. Der Kassenschrank war in einem Raum, der Tag und Nacht - hatte da niemand Zugang gehabt, ohne dass er an einem bewaffneten Türsteher vorbei gekommen ist. Man hatte natürlich sofort den Täter in einem engeren Kreis gesehen...

Daniela Lager (Dialekt):

... das heisst: innerhalb der Polizei?

Meier 19 (Dialekt):

... innerhalb der Polizei. Ja. – Und da ist die ganze Mannschaft natürlich erschrocken, gelinde gesagt, erschrocken...

Daniela Lager (Dialekt):

... aber das war Bargeld gewesen, muss man sich vorstellen, nicht irgendwelche Schecks, dannzumal, die da weggekommen sind?

Meier 19 (Dialekt):

Das war Bargeld gewesen, 88'000 Franken, in verschiedenen Säcklein abgezählt.

Daniela Lager (Dialekt):

Im Kampf um die Aufklärung dieses Falles, Herr Meier, auf der Suche nach der Wahrheit, waren Sie in 36 verschiedenen Strafverfahren verwickelt. Dieser Fall kostete sie fast Ihre Existenz. - Wie und wo leben Sie heute?

Meier 19 (Dialekt):

Ich bin zum Sozialfall geworden. Ich wohne heute in einer Alterswohnung der Stadt Zürich. Und da wusste niemand, wer ich bin.

Daniela Lager (Dialekt):

Wenn ich Ihre Lebensgeschichte lese im Buch, dann ist es fast eine klassische Tragödie, wo einer alleine so ein bisschen gegen die Mächtigen der Gesellschaft anrennt und dabei auch zugrunde gerichtet wird. – Herr Meier, ich würde einmal noch gerne zurück zum Anfang: Wo und wie hat Ihr Leben eigentlich angefangen?

Meier 19 (Dialekt):

...das geht auf meine Jugend zurück?

Daniela Lager (Dialekt):

Ja, auf Ihre Kindheit...

Meier 19 (Dialekt):

Ich bin im Wehntal aufgewachsen, also 15 Kilometer von der Stadt Zürich entfernt. Wir waren vier Geschwister. Mein Vater ging in die Fabrik. Nebenbei hatten wir noch vier Ziegen – und so in einfachsten ländlichen Verhältnissen aufgewachsen...

Titel auf Schwarz

 

Filmanfang, nach Prolog, Dorfplatz, Kirche

Meier 19 (Dialekt):

Mitten im Dorf sehe ich da gerade das Riegelhaus von unserem ehemaligen Siegrist, der uns in der Sonntagsschule betreut hatte. Ich kam direkt dazu, als das Scheunentor offen stand und er sich kurz vorher erhängt hatte. Das war ein Horrorerlebnis für mich. Ich sah ihn noch baumeln, bevor die Behörde kam und ihn vom Seil genommen hatte. Das war für mich natürlich etwas Unfassbares gewesen. Ich hatte auch noch nicht geahnt, was damit nun für eine Hypothek auf mich herunter kam. Von da an war mein Vater Siegrist. Und zehn Jahre musste ich jeden Sonntag die Glocken ziehen, und zwar früh am Morgen um sechs.

Es ist sehr schwer für mich, meine Gefühle zu beschreiben, die ich zu meinem Vater habe und gehabt habe. Ich bekam keine Liebe von ihm, ich kann es nicht fassen, dass es so ein Verhältnis geben konnte zwischen Vater und Sohn.

Einmal wurde ich geschlagen, dass ich glaubte, jetzt müsse ich sterben. – Warum? Ich muss immer fragen, warum? Warum ist das passiert?

Maschinenfabrik Bucher-Guyer

Meier 19 (Dialekt):

Ich habe da vier Jahre Mechanikerlehre gemacht. Ich habe den Betrieb als Lehrling ziemlich genau kennengelernt. Das war eine schöne Zeit. Wir hatten Kameradschaft. Wir waren acht Lehrlinge im gleichen Jahr.

Als ich die Lehre fertig hatte, wäre ich gerne in der Firma geblieben. Aber zuhause hatten wir derart zerstrittene Familienverhältnisse, dass ich von da geflohen bin.

Le Locle

Schon vor Abschluss der Lehre hatte ich eine Stelle gesucht, hatte die auch umgehend gefunden in Le Locle. Ich wollte Französisch lernen, ein Stück andere Welt kennenlernen. Ich weiss noch gut, wie ich am Bahnhof angekommen bin: mit pusternder Dampflokomotive.

Da in diesem Haus hinter mir hatte ich mein erstes Zimmer. Ich weiss sogar noch den Monatszins, 20 Franken. Es hatte mir nicht ganz alles gefallen, und ich fand gegenüber ein Zimmer. Da drüben. Die Leute, die da gewohnt hatten, waren zuvorkommend, nett. Im Gegensatz zu den Deutschschweizer kam da Neid und Missgunst gar nicht auf.

Meier 19 (Dialekt):

Ich fand einen Arbeitsplatz in der ältesten Uhrenfabrik der Schweiz, in der Zenith. Aber wenn immer es in der Welt kriselte, sei dieses Uhrmacherstädtchen als erstes getroffen worden: Arbeitslosigkeit, Not und Angst. Das hatte mir sehr Eindruck gemacht. Da sah ich mich nach einer krisensicheren Stelle um und meldete mich bei der Stadtpolizei Zürich.

Wenn ich das geahnt hätte, was auf mich zukommen sollte, dann wäre ich mit Sicherheit in Le Locle geblieben.

Hauptwache Urania, Zürich

Ein Jahr Rekrutenschule in einem historischen Gebäude hatten wir vor uns. Und da hatten wir viel gelernt. Wir lernten die Stadt kennen, betrieben Sport und hatten mit den Instruktoren das beste Verhältnis. Wir konnten uns frei äussern und alles machen, was uns passte. Als ich dann auf die Aussenwache kam, bin ich dann mit den Problemen konfrontiert worden, die mir zeigten, dass die Korpsleitung mit der Beförderungsgewalt die ganze Mannschaft in den Händen hat. Da hatte sich jeder ausgerichtet und das geboten, was man verlangt hatte: blinder Gehorsam.

Kommentar (hochdeutsch):

Mit 23 Jahren tritt Kurt Meier im Juni 1948 in die Stadtpolizei ein. 1953 heiratet er in der reformierten Kirche Friesenberg in Zürich. 1954 wird ein Sohn, ein Jahr später eine Tochter geboren.

Meier 19 (Dialekt):

Nach zehn Jahren Dienst in der Uniform wurde ich Detektiv. Da ist alles anders: mehr Kompetenz, weniger Nachtschicht, man kann selbständig ermitteln. So konnte ich interessante Kriminalfälle lösen. Ich bekam auch näheren Einblick in interne Vorgänge. Das führte mich noch stärker zu meiner Arbeit. Und dann wurde auf der Hauptwache der Zahltag gestohlen. Das hat in mir eine ganze Welt zerstört.

Rolle 2

 

Meier 19 (Dialekt):

Vom ersten Tag an, nachdem der Diebstahl erfolgte, habe ich mich näher dafür interessiert. Ich ging zum Zahltagsbeauftragten, Herr Ruoff, der ja diesen Schrank unter sich hatte und dem er sozusagen unter den Händen geleert worden war. Ich sagte: „Karl, da ist etwas nicht sauber“. Er sagte mir: “Kurt, du bist vielleicht der einzige, der dieser Sache weiter nachgeht“.

Im Tresorraum, Hauptwache

Josef Harder (Dialekt):

Dieser Kassenschrank ist über hundert Jahre alt. Aber er funktioniert immer noch einwandfrei. Er hat zwei verschiedene Verschluss-Systeme. Einmal mit diesem Doppelbartschlüssel, das Hauptverschluss-System. Da kann man die Riegel zurückziehen. Und das zweite Verschluss-System mit diesem Einbartschlüssel, den man oben hineinstecken kann und diesen Verschluss öffnen. Und so ist dann diese Türe offen. Man sieht in der Mitte das Hauptverschluss-System mit diesen zwei Riegeln, die man für sich allein betätigen kann, und dann anderseits das obere System mit diesem einen Riegel. Und beide Verschluss-Systeme sind völlig unabhängig voneinander.

In den meisten Fällen, wenn etwas passiert, wenn ein Schrank geleert wurde, und man hat keine Einbruchspuren, dann waren einfach die Verschlüsse nicht zu. Die hatten einfach einmal vergessen, die Türe zu schliessen. Und das ist dann häufig der Fall.

Meier 19 (Dialekt):

Das ist auch in diesem Fall zutreffend. Ich habe mit dem Kassenschrank-Inhaber freundschaftlich verkehrt. Er hat mir das alles im Detail geschildert. An einer Abmachung musste er die Zeit einhalten. In Eile schloss er den Schrank mit einem Schlüssel. Und als er die Treppe hinunter ging, stellte er fest, dass er den zweiten Schlüssel nicht betätigt hatte. Er dachte, in dieser Nacht, in der ich jetzt nur ein Schloss betätigt habe, wird ganz sicher nichts passieren, weil ja unten eine bewaffnete Türwache steht, ging mit schlechtem Gewissen nach Hause, und als er am anderen Morgen kam, war der Schrank leer.

Aussen vor der Hauptwache

 

Kommentar (hochdeutsch):

Der Tresor stand einst bei Polizeioffizier Dr. Walter Hubatka im dritten Stock. Er liess den Tresor im Sommer 1955 abtransportieren ins Lohnbüro im ersten Stock. Dort stellte man fest, dass ein Doppelbartschlüssel fehlte. Diesem Umstand wurde damals keine weitere Beachtung geschenkt. Auch 1963, nach dem Zahltagsdiebstahl, wurde Hubatka nicht dazu befragt. Inzwischen war er Kripochef und leitete die Ermittlungen.

Hauptwache innen

Meier 19 (Dialekt):

Nach dem Zahltagsdiebstahl ist in diesem Haus unter der Mannschaft eine grosse Unsicherheit entstanden. Man wusste, es ist einer von diesem Haus, also ein Polizist. Wenn wir auf die Strasse gingen, wurden wir ausgelacht. Man sagte uns: „Auf euch kann man überhaupt nicht mehr zählen, ihr habt ja Diebe in den eigenen Reihen“. Der Kommandant versuchte dann diese Unruhe zu dämpfen, indem er sagte: „Wir werden den Täter bald haben“. Nachdem in dieser Richtung gar nichts ging, entstand ein Misstrauen gegenüber der Korpsleitung, insbesondere gegenüber dem Chef der Kriminalpolizei.

Aussen vor der Hauptwache

Kommentar (hochdeutsch):

Meier 19 war eine jener Beamten, die intern an den Fähigkeiten der Polizeiführung zweifelten. Bei seiner Beförderung zum Detektivwachtmeister wurde er in einen Aussenposten versetzt.

Meier 19 (Dialekt):

Ich war in der Fahrzeuggruppe und hatte dort richtige Freude. Und dann wurde ich zu Hubatka zitiert, und er eröffnete mir, dass ich von dieser Fahrzeuggruppe nun nach Albisrieden versetzt werde. Begründung gab es eigentlich keine, ich wurde einfach versetzt. Ich hatte natürlich sofort gewisse Verdächte, wieso dies so explosiv vor sich ging. Den ersten Verdacht hatte ich damals: Da gibt es einen mit einem schlechten Gewissen. 

TV-Studio

Arnold Winkler (Dialekt):

Als die Untersuchung aufgenommen wurde, bemerkte man gleich, dass man sich allgemein wundert, dass die Stadtpolizei selber diese Untersuchung führen will. Man hatte wörtlich gesagt, da müsste doch die Kantonspolizei her, die das untersuchen sollte. Und das ist ja eine Untersuchung in eigener Sache. Das geht doch nicht! In diesem Sinne hatte man von allen Seiten Stimmen gehört.

 

Arnold Winkler (Dialekt):

Dann habe ich einmal, weil es schon lange in mir wurmte, dass einfach die Offiziere nie drankommen. Das hatten andere genau wie ich empfunden. Und dann sagte ich zu Dr. Stocker: „Finden sie das in Ordnung, dass man bei den Offizieren nicht untersucht, und dass wir jetzt so drankommen und kein einziger Offizier muss gerade stehen, muss das auch zur Verfügung stehen bei dieser Untersuchung?“ – Und dann ist er, hat man gesehen, wie er erbost wurde. Er hatte sich aufgestreckt und kam Nase an Nase an mich heran – ich bin noch nie mit ihm irgendwie uneins gewesen – und sagt mir ins Gesicht hinein: „Herr Winkler, merken sie sich eins für alle Mal: Ein Offizier stiehlt nicht!“ – Er hatte sich wie überschlagen, so schrie er das heraus. Und da wusste ich Bescheid...

Im Haus von Alfred Messerli, vor Büchern

Alfred Messerli (Dialekt):

Der Zahltagsdiebstahl war für mich als Polizeiberichterstatter sicher der verrückteste Fall gewesen. Ich habe damals nebst dem „Tages-Anzeiger“ auch für United Press, die damalige Weltagentur geschrieben, und die hat das sofort aufgenommen und hat es auf der ganzen Welt verbreitet. Und wir haben dann später vom New Yorker Büro die Mitteilung erhalten, dass das die Meldung war 1963, die am meisten abgedruckt wurden auf der ganzen Welt.

Zugefrorener Zürichsee

Kommentar (hochdeutsch):

In jenen Märztagen des Jahres 1963 erlebte Zürich gerade das Ende der letzten Seegfrörni seit Jahrzehnten. In Eis erstarrt war aber nicht nur der Zürichsee, sondern auch die damalige Gesellschaft im frostigen Klima des kalten Kriegs. Allmählich begann es jedoch von den Rändern her zu tauen.

In Gretlers Archiv

Roland Gretler (Dialekt):

Eigentlich ging es gegen das Spiessertum, gegen die ganz Lebensfeindlichkeit der damaligen Zeit. Alles war eigentlich verboten, was man gerne gemacht hätte. Das war irgendwie nicht gestattet oder wurde einem vermiest. Wenn man nicht verheiratet war, durfte man nicht unter dem gleichen Dach wohnen. Es gab das sogenannte Konkubinatsverbot. Man registrierte die Schwulen. Es gab Listen bei der Polizei von den Homosexuellen. Es war unglaublich, wie stickig und eng das Klima war – luftdick zum abschneiden war es. Und in dieser Zeit wurden die Rolling Stones angekündigt, eine sagenhafte Gruppierung.

Flughafen Zürich-Kloten

 

 

Roland Gretler (Dialekt):

Etwa 2'000 Fans wollten die Stones empfangen, und als es dann endlich soweit war, fuhr ein Feuerwehrauto vor von der Flughafenpolizei und spritzte alle ab. Man wusste nicht warum. Es war einfach die schiere Missgunst auf die jungen Leute, die Freude am Leben hatten.

 

In Gretlers Archiv

Die Jungen sind dann zurück nach Zürich, nass wie Kirchenmäuse. Und am Abend ist man dann ans Konzert, und vor dem Hallenstadion stand schon wieder eine Empfangsgarde bereit. Man musste durch eine Gasse hindurch gehen von Polizisten, die an kurzer Leine so Wolfshunde hatten, die einem ansprangen, und das war der Auftakt zum Konzert.

Im Hallenstadion

Aber der Höhepunkt vom ganzen Konzert war, als Mick Jagger seine Jacke auszog. Dann schwenkte er sie ein paar Mal im Rhythmus von Ruby Thusday, und dann warf er sie ins Publikum.

Gegen Ende des Konzerts stürmten Polizisten herein und drängten die Vordersten zurück, die angefangen hatten zu tanzen, brauchten dann bald einmal die Gummistöcke und schlugen hirnwütig drein, draufgehauen auf die Leute, die tanzten und nichts Schlimmes im Sinn hatten. Und da wurden natürlich auch die Aggressionen, die Früste, die in den Jugendlich waren, schlagartig nach vorne befördert. Sie fingen dann an die Stühle zu demolieren. Aber so schlimm war das gar nicht.

In der vordersten Reihe sassen die Polizeikommandanten, der Herr Bertschi und der Herr Hubatka und der Alfred Messerli, der Journalist vom „Tages-Anzeiger“, und die sahen sich das an. Und nachher schrieb Messerli über den Vandalismus der Jugend, als ob es sich um eine gewalttätige Bande gehandelt hätte, die an dem Konzert war.

Strasse in Zürich

Meier 19 (Dialekt):

Ich hatte eine Freitag und fuhr mit meiner Frau Richtung Zürichsee. Da kommt mir plötzlich ein Amerikanerwagen entgegen. Ich musste stoppen, sonst hätte es einen Zusammenstoss gegeben. Da sagte ich: „Was kommt Ihnen eigentlich in den Sinn auf der linken Seite zu fahren?“ – Und der Mann sagte mir: „Ich fahre dort, wo ich will. Ich bin Direktor und Oberst!“ – Und ich sagte: „Selbst wenn Sie der General wären, hätten sie nichts zu tun auf der linken Seite. Aber jetzt möchte ich wissen, wer Sie sind“. – Per Zufall kam dann ein Polizist. Ich weiss nicht, hatte man ihn gerufen vom Hotel aus, oder ist er sonst gekommen. Ich habe ihm die ganze Situation geschildert und sagte: „Ich möchte dann auch sehen, wo der Rapport hingeht“.

Der Oberst Guldimann wäre im Kriegsfall Platzkommandant geworden von der Stadtpolizei. Und er wusste, dass er so die höchste Protektion in Anspruch nehmen konnte. Und deshalb ist dieser Rapport verschwunden.

Kommentar (hochdeutsch):

Die Konfrontation zwischen Guldimann und Meier 19 brachte es an den Tag: Hohe Polizeifunktionäre liessen Bussen verschwinden aus Gefälligkeit. - Als derselbe Oberst Guldimann ein Jahr später, nach einem schweren Verkehrsunfall, wieder ungeschoren davonkam, ging Meier der Sache nach. Aber alle Dienstwege führten ins Nichts. - Daraufhin ging er an die Presse. Der Fall erregte Aufsehen. – Aber weil er an die Öffentlichkeit ging, wurde Meier 19 entlassen und wegen Amtsgeheimnisverletzung verurteilt.

Gericht

Meier 19 (Dialekt):

Dieses Urteil zeigt, dass die Oberen gedeckt hatten. Und zwar wie, das geht aus folgenden Worten des Richters hervor: „Der Angeklagte musste als langjähriger Angehöriger des städtischen Polizeikorps wissen, dass es absolute Gerechtigkeit nicht gibt und nicht geben kann“. Dass mir das ein Richter sagt, das kann ich nie mehr vergessen.

Vor Meiers früherem Haus

Da kam ich plötzlich nach Hause, keine Arbeit, keine Stelle, nichts mehr. Das Haus war schwer belastet. Ich wusste nicht mehr ein und aus, woher der Zins? Und die Kinder waren in der Sekundarschule, das hatte auch laufend Kosten ergeben. Ich schämte mich. Ich wollte nicht, dass die Nachbarn sehen, dass ich keine Arbeit mehr habe. Ich ging jeden Morgen, wie vorher, um sechs fort, in den Wald, in die Natur hinaus spazieren.

TV-Studio

Arnold Winkler (Dialekt):

Mit dem Meier 19 hatte ich wirklich Erbarmen, dachte, verdammt, also was muss jetzt dieser Mann durchmachen. Er meint es ja nur recht, er war einer, der für das Recht einstehen wollte, und nun wird es ihm einfach derart besorgt. Das hatte ich empfunden. Ja. – Es hätte sich gehört, dass das Korps wie ein Mann aufgestanden wäre und für den Meier Partei ergriffen hätte. – Ich war immer das ganze Leben lang ein Duckmäuser, wenn es um so etwas ging. Man hatte mich auch nicht anders erzogen als: Respekt und Hochachtung vor den Höheren, nicht wahr...

Daniela Lager (Dialekt):

Herr Meier, was haben Sie denn von der Stadtpolizei Zürich erwartet, als Sie an die Öffentlichkeit gingen. Haben Sie damit gerechnet, dass es schief heraus kommen könnte für Sie?

Meier 19 (Dialekt):

Mit dem habe ich nicht gerechnet. Aber dann hatte Hubatka sofort eine Pressekonferenz abgehalten, als ich entlassen worden war, und er sagte: „Wenn immer jemand mit Unstimmigkeiten im Korps an die Öffentlichkeit tritt, dann ergeht es ihm genau gleich wie dem Meier 19“. Das hat natürlich die Kollegen zum Schweigen bewegt.

Daniela Lager (Dialekt):

Woher hatten denn Sie den Mut, nicht einfach auch zu schweigen wie alle anderen?

Meier 19 (Dialekt):

Ich hatte das Ziel, dass ich ins Gespräch komme mit der Korpsleitung. Und die Leute in der ganzen Mannschaft sagten: „Wir sind dann voll hinter dir“. – Und als dann die Entlassung erfolgte, war gar niemand mehr da.

Daniela Lager (Dialekt):

Herr Bösch, was hat die Entlassung von Meier 19 für politische

Folgen gehabt?

Paul Bösch (Dialekt):

Es löste einen ganz gewaltigen Wirbel aus. Es gab Schlagzeilen vom Bodensee bis nach Genf hinunter. Und die Schweizer Bevölkerung hatte noch nie vorher in diesem Ausmass zur Kenntnis nehmen müssen, dass auch bei uns Korruption möglich ist.

 

Daniela Lager (Dialekt):

Herr Meier, was für direkte Folgen hatte diese Entlassung für Sie gehabt?

Vor Meiers früherem Haus

Meier 19 (Dialekt):

Ich war in der Wohnung. Es war an einem Vormittag. Dann klingelte es, und ich machte die Tür auf. Da steht da ein Kollege der Kantonspolizei und sagt: „Wir müssen bei dir eine Hausdurchsuchung machen“. Und schon springt einer da hinten hervor, auch mit der Pistole, und ein anderer von da. Ich erschrak und sagte: „Mir ist alles nicht klar wieso. Aber kommt herein“. Wir gingen hinein. Und da haben sie tatsächlich die Stube... und überall suchten sie. Und als ich noch schnell die Zähne putzte, stand immer links und rechts von mir einer mit der Pistole in der Hand. Die wollten mich einfach erschrecken. Ich wusste, jetzt ist die Mafia los. Jetzt ist die Mafia hinter dir her, die wollen dich kaputt machen.

Demonstration

Roland Gretler (Dialekt):

Es erging ihm ähnlich wie der Jugendbewegung. Wir machten auch unsere schlechten Erfahrungen mit der Polizei. Und so organisierten wir dann eine Demonstration für ihn. Und bei dieser Gelegenheit habe ich dann so Helme gemietet beim Kostümverleih, so Bobbyhelme, wie sie es früher hatten, und mit diesen sind die Sammler unter die Leute und riefen: „Ein Zweier für den Meier, ein Zweier für den Meier!“ – Und diesen Helme waren im Nu voll mit Zweifränkler. Die Solidarität und die Sympathie für den Meier 19 war enorm weit über den Kreis der Jugendbewegung hinaus. In der ganzen Bevölkerung hatte man Verständnis und Sympathien für ihn.

 

TV-Studio

Gertrud Heinzelmann (Dialekt):

Ich habe das Büro gegen Amts- und Verbandswillkür geführt, vom Migros Genossenschaftsbund. Und ich hatte lauter Willkürfälle. Und ich muss sagen, also der Meier 19 war ein Mocken, ein schwieriger Mocken. Und im Grunde genommen hat er mir immer wieder leid getan, weil ich fand, er hat recht. Der Meier 19 hat noch lange gewartet. Er hat noch einmal probiert, intern etwas zu machen und hat gemerkt, dass alle seine Akten unter den Teppich gekehrt werden und und und. Und da sagte er: „Willkür ist Willkür, Amtswillkür ist Amtswillkür, ich schaue weder rechts noch links, wer das gemacht hat, parteipolitisch oder vom gesellschaftlichen Stand her – das geht mich nichts an!“ - Und der Meier 19 hat denen zugeschaut, ich meine, der Meier 19 ist nämlich hell auf der Platte. Der hat schon gesehen, was da läuft. Er sagte: „Ich gehe mit diesem Zeug hinaus. Und wenn die blöd tun, dann jage ich den Zahltagsdiebstahl in die Luft!“ – Und so wurde dann der Zahltagsdiebstahl zum Traktandum Nummer 2 und nachher zum Traktandum Nummer eins. Das war sein Trumpf, weshalb er es überhaupt gewagt hatte.

Rolle 3

Hauptwache

Kommentar (hochdeutsch):

Von früheren Arbeitskollegen hatte Meier erfahren, ein Polizist namens Wendel habe etwas Verdächtiges beobachtet in der Nacht des Zahltagsdiebstahls.

Alfred Wendel (Dialekt):

Ich sass etwa vor 35 Jahren an diesem Tisch mit einem Fräulein Müller, der ich einen Strafzettel gesteckt hatte wegen falsch Parkieren. Sie wartete auf mich, und ich kam um fünf vor sieben. Sie zeigte mir die Busse und diskutierte mit mir. Und während dieser Diskussion sah ich Doktor Hubatka hier vorbeigehen. Und etwa beim dritten Mal fragte sie mich: „Wer ist denn das, der immer da vorbeigeht?“ – Da sagte ich: „Ja, das ist der Chef der Kriminalpolizei, der Herr Doktor Hubatka“. Weiter war nichts, wir diskutierten noch, und dann um fünf vor acht gingen wir.

Polizei-Aussenposten Albisrieden

Meier 19 (Dialekt):

Da hatte man doch Hausdurchsuchungen gemacht, Gärten umgegraben und Matratzen aufgeschnitten – aber die Angaben von Wendel, der Hubatka dreimal in der Nähe des Tatorts sah, hatte man völlig ignoriert. – Ich ging auf den Posten Albisrieden, wo ich früher arbeitete, inzwischen aber entlassen worden bin, erzählte dies meinen Kollegen. Sie waren höchst erstaunt und sagten, da habe man immer gedacht, da stimme etwas nicht. Sie sagten: „Kurt, wenn du das niederschreiben willst, kannst du es in dem Büro machen, wo du früher gearbeitet hast“. – Ich erstellte dann auf diesem Papier der Stadtpolizei eine fünfseitige Anzeige. Mit dieser Strafanzeige bezweckte ich, dass die ganze Untersuchung in Sachen Zahltagsdiebstahl neu aufgenommen wird gegen Hubatka – mit diesen neuen Aspekten. Das ist gelungen. Das Papier landete bei Bezirksanwalt Gerber, der den Auftrag hatte, die Untersuchung an die Hand zu nehmen.

Hauptwache

Alfred Wendel (Dialekt):

Nach x Jahren bekomme ich eine telefonische Vorladung von Dr. Gerber für eine Einvernahme. Das war aber einige Jahre nach dem Diebstahl. Da ging ich hin: telefonische Vorladung wohlverstanden, nicht normal... – Da hatte er mich einvernommen zum Zahltagsdiebstahl. Und während dieser Einvernahme wollte er immer wissen, wo ich sass, und wollte mir immer sagen, ich sei hinter der Wand gesessen, die dort hinten ist. Und sicher dreimal sagte er: „Sie sind doch hinter dieser Wand gesessen!“ – Bis ich insistierte und sagte: „Nein, das stimmt nicht. Ich war nicht dort. Wenn ich dort hinten gesessen wäre, hätte ich ja den Hubatka gar nicht sehen können hinter dieser Wand!“ - Das ist aber nicht der Fall. Ich sehe jetzt noch den Herrn Doktor Hubatka da vorbeigehen – ohne Hut und Mantel.

Zürcher Rathaus

Paul Bösch (Dialekt):

In diesem Saal hat 1968 ein ganz wichtiges Kapitel der Affäre Meier 19 stattgefunden. Rudolf Gerber musste, bevor er Bundesanwalt wurde, im Jahr 1968 alle diese Verdachtsmomente prüfen, die dafür sprachen, dass Hubatka der Zahltagsdieb sein könnte. Das eigenartigste dieser ganzen Untersuchung – und das ist für die Rechtsgeschichte in der Schweiz vielleicht einzigartig – war aber der Umstand, dass Gerber einen Untergebenen von Hubatka, also einen, der vom Beschuldigten abhängig war, mit Recherchen in dieser Untersuchung beauftragte. Der musste einen Rapport anfertigen. In der Schusslinie dieses Rapports stand Hubatka, und trotzdem war es möglich, dass Hubatka in einem Zeitpunkt, als er selber Beschuldigter war, diesen Bericht abnehmen konnte und dem Untersuchungsrichter übermitteln.

Meier 19 (Dialekt):

So eine Untersuchung geht mindestens ein Jahr oder noch länger. Innert 14 Tagen hielt Doktor Gerber eine Sistierungsverfügung bereit, die heute noch zum Himmel schreit. Der erste Staatsanwalt, Doktor Birch, hatte sie genehmigt – inner 14 Tagen! – und schrieb am Schluss: „Es ist aus psychologischen Gründen nicht möglich, dass Hubatka der Täter ist“. Das ist ein Irrsinn im Quadrat!

In Gretlers Archiv

Roland Gretler (Dialekt):

Die älteren der 68er Bewegung haben als Kind noch den zweiten Weltkrieg auf ihre Art miterlebt. Ich hörte von meinem Vater von den Verfolgungen der Juden, hatte aber auch in der Schule ein Erlebnis, das mich das ganze Leben lang nicht mehr losliess. Uns zwar war es ein Bub, der Erwin Sussmann, ein ungarischer jüdische Bub, der unserer Klasse zugeteilt wurde. Er kam direkt von Bergen-Belsen, von einem Vernichtungslager mit seiner Mutter, die überlebten. Der Vater wurde erschossen. Diese Geschichte hatte mich immer, immer, immer beschäftigt, und die ist für mich eine Vorgeschichte zur 68er Bewegung. Denn 1968 erschienen wieder ähnliche Bilder in der Presse. Wir sahen Bilder vom Vietnamkrieg, und da hatte es Bilder, die mich an das erinnerten, was auch Sussmann erzählt hatte. Und die einstigen Befreier vom zweiten Weltkrieg, die wir so bewundert hatten, wurden dort plötzlich zu den Tätern.

Vietnamkrieg, Gretlers Archiv

In Amerika gab es in dieser Zeit Aufstände, weil sehr viele schwarze Amerikaner weit überproportional zum Bevölkerungsanteil nach Vietnam geschickt wurden, teils aus Arbeitslosigkeit und teils weil sie benachteiligt waren bei der Aushebung. Das hat uns dazu gebracht, dass wir Demonstrationen gemacht haben zur Solidarität mit den Afro-Amerikanern. Und wir haben es immer versucht, auf die legale Art zu machen. Wir haben es angemeldet und auf die Bewilligung gewartet. Die Polizei hat uns immer nur behindert. Die Bewilligung ist erst zum Schluss eingetroffen. Wenn wir Plakate machten, wurde der Aushang verboten. Es war sehr frustrierend.

Im Frühling 1968 ist die ganze westliche Welt in Bewegung geraten. Überall gab es Jugendunruhen. Von Berkley über Paris, Rom, Berlin, selbst durch den eisernen Vorhang hat dies ausgestrahlt nach Prag und nach Warschau. Überall hat die Polizei dreingeschlagen.

Roland Gretler (Dialekt):

Als wir hörten, dass Jimi Hendrix nach Zürich kommt, ist uns wieder in den Sinne gekommen, wie es letztes Jahr war bei den Rolling Stones. Wir fanden, diesmal lassen wir uns dies nicht mehr bieten. Wir wollten uns vorbereiten und versuchten, das Potenzial zum Protest der Jungen, welche die Verhältnisse ändern wollten, zu politisieren. Ich entwarf ein Flugblatt und getextet fürs Hendrix-Konzert, 20'000 waren es. Hier montierten wir dem Hendrix dieses Medaillon auf die Brust: Rebellion ist berechtigt!

Hallenstadion

Und Jimi Hendrix war der Botschafter des neuen Lebensgefühls, welches die damalige Bewegung hatte: Kritik am Spiesserstaat, an der Spiessermentalität, an der Aktivgeneration und an der Sexualfeindlichkeit der Spiesser.

Als das Konzert zu Ende war, strömten Tausende da hinaus auf dem Platz. Die Verkehrsmittel fuhren nicht mehr. Sie stellten nicht wie in anderen Fällen Extrabusse zur Verfügung. So sind die da herumgestanden. Viele kamen von auswärts und wussten nicht einmal, wo es in die Stadt geht. Es war kalt. Ein paar hockten ab und zündeten ein Feuerchen an. Und dann plötzlich stürmte die Polizei heraus und schlug drein. Hunde hörte man bellen.

Kommentar (hochdeutsch):

Ein Jahr nach den Rolling Stones hatte sich die öffentliche Meinung gegenüber der jungen Beatgeneration beruhigt. Jetzt kritisierte die Presse nicht mehr die Konzertbesucher, sondern die Ordnungshüter. – Parallel dazu geriet die Stadtpolizei politisch unter Druck.

Rathaus

Alfred Messerli (Dialekt):

Im Gemeinderat ist das erste am 30. August 1967 der Fall Meier 19 zur Diskussion gestanden. Am gleichen Tag hat namens der sozialdemokratischen Fraktion der Fraktionschef Otto Schütz zusammen mit Max Briner und mir eine Anregung eingereicht, man soll zum Fall Meier 19 eine Untersuchungskommission bilden. Das war etwas Neues für den Zürcher Gemeinderat; es war im Geschäftsreglement in dieser Art noch gar nicht vorgesehen. Und der Stadtrat hat die Meinung vertreten, dass eine besondere zusätzliche Untersuchungskommission nicht notwendig ist. Der Gemeinderat hat sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Er hat beschlossen, eine 17er-Kommission einzusetzen, und als ich den Antrag stellte, dass diese Kommission auch andere Fälle von ungleicher Behandlung von Bürgern durch die Stadtpolizei untersuchen solle, hat sich sofort auf der rechten Ratsseite Opposition gezeigt. Das hatte zur Folge, dass ich aus der Untersuchungskommission zurücktrat.

In Gretlers Archiv

Roland Gretler (Dialekt):

Es gab einen Haufen Ereignisse, die dazu beitrugen, das Klima noch mehr anzuheizen. Das erste war, dass der Kripochef Hubatka ein Freierregister einführte. Eine Woche später, wurde ein junger Postbeamter, einer mit langen Haaren, der vom Nachtdienst nach Hause fuhr - er wurde auf seinem Fahrrad von einem Polizisten angeschossen. Dieser Schuss hatte uns besonders empört in der Bewegung, wo alle ihre Haare wachsen liessen. Und es gab dann eine Demonstration, an der wir forderten: Bewaffnet die Pöstler!  

In der Zeit, als die Anti-Polizeistimmung eskalierte, hat Meier 19 zum ersten Mal den Kripochef Walter Hubatka verdächtigt, den Zahltag bei der Polizei selber gestohlen zu haben. für die Jugendbewegung war dies ein gefundenes Fressen, weil sie unterdessen der Stadtpolizei alles zugetraut hatte.

Wohnhaus in Hausen

Esther Burkhardt Modena (Dialekt):

Das Verrückte war schon, wir haben zwar gewusst, dass vieles faul war in diesem Staat, theoretisch, aber dann wieder einmal konkret zu erleben, da wird hintenherum etwas gemauschelt, und wer weiss, war es jemand von der Polizei, der diese Zahltagstäschlein abserviert hatte. Dann hatte der Meier 19 die Dinge aufgebracht, die...

Verena Voiret (Dialekt):

Für und war dies natürlich Nahrung...

Esther Burkhardt Modena (Dialekt):

Es sind ja suksessive immer mehr Dinge passiert, die den Boden vorbereitet haben für 1968.

Verena Voiret (Dialekt):

Ja, die Strasse ist plötzlich zum Lebensraum geworden. Das war neu gewesen, für alle. Ich war an der Kunstschule. Wir fanden, das Leben ist auf der Strasse, nicht im Aktsaal. Jetzt gehen wir auf die Strasse. Leben gleich Kunst und Kunst gleich Leben. Ich ging mit so einem orangen Minikleid ins Odeon. Da hiess es, ich dürfe da nicht hinein. Da sassen unsere Freunde im Odeon, und die sagten: „Das geht nicht, dass unsere Freundinnen nicht eingelassen werden. Da müssen wir eine Demonstration machen!“

Das war schon die Jugendbewegung. Plötzlich gab es Verbindungen, die Studenten wollten mit den Lehrlingen reden, und die Kunstschüler mit den Studenten. Es gab natürlich auch Liebesgeschichten und alles..., und das hat auf der Strasse stattgefunden, als Jugendbewegung.

Kommentar (hochdeutsch):

Im Juni 1968 besetzte die Jugendbewegung das leerstehende Globusprovisorium am Bahnhofquai. Noch übte der Stadtrat Toleranz.

Alte Börse

Werner Strebel (Dialekt):

Im April 1968 hatte der Stadtrat beschlossen, dass man Meier 19 nicht mehr anstellen wolle. Ich war gerade 25 Jahre alt. Damals fand hier eine Versammlung statt für unseren Meier 19. Es waren über 500 Personen da, und es war eine gute Stimmung. Vor mir sprach Meier 19. Hier waren Leute, die sich einfach fürs Recht einsetzten. Und es war sehr eindrücklich. Ich hatte ein gutes Gefühl, als ich so auf die Leute hinunterschauen konnte. Ich war damals der jüngste Gemeinderat und Präsident der Aktion für Sauberkeit in Stadtpolizei und Verwaltung. – Speziell als Junger ist mir der Zahltagsdiebstahl am Herzen gelegen. Man stelle sich vor: in der Polizeihauptwache kann man einfach den Zahltag stehlen! Das hat man im Volk natürlich nicht verstanden, und darum hat mich der Fall speziell interessiert. Wobei es zu jener Zeit vor allem darum ging, dass man die Verjährung nicht verpasst.

Rolle 4

Frauenstimme (Dialekt):

Ich bin überzeugt davon, dass der Doktor Hubatka der Zahltagsdieb ist.

Auch wir Jungen haben eingesehen, dass wir mit der älteren Generation zusammenarbeiten müssen, und dass wir nur so etwas erreichen.

Männerstimme (Dialekt):

Für mich ist Meier 19 ein Idol für Sauberkeit, Gerechtigkeit und Idealismus!

Hauptwache, im Haus von Alfred Messerli vor Büchern, Hauptwache

Alfred Messerli (Dialekt):

Es war damals so, dass man die Polizei als integer, als absolute Hüterin des Rechts aufgefasst hatte. Daran hatte man überhaupt nicht gezweifelt. Aber dadurch, dass Meier 19 sagte, es verschwinden Bussenrapporte, es würden aus Gefälligkeit Strafzettel vernichtet – und er hatte sie kopiert, damit er dies beweisen konnte – dadurch wurde die Autorität der Polizei generell in Frage gestellt. Sie wurde nochmals durch die Jugendunruhen in Frage gestellt und durch den Zahltagsdiebstahl. Das Thema war so brisant, dass der Name Meier 19 zu einem stehenden Begriff wurde, nicht nur in der Stadt Zürich, sondern auch in der ganzen Schweiz.

In Gretlers Archiv

Roland Gretler (Dialekt):

Der Meier 19 kam durch den Widerstand, den er leistete, aus seiner Anonymität heraus. Er wurde zu einer Persönlichkeit. Der Meier 19 hiess immer noch Meier 19, aber er wurde zu dem Meier 19! Für uns bekam der Name einen guten Klang und wurde zu einem Symbol.

Globusprovisorium

Kommentar (hochdeutsch):

Als weiteres Symbol hatte sich inzwischen das erste Autonome Jugendzentrum der Stadt Zürich im Globusprovisorium etabliert. Doch schon nach zwei Wochen riegelten die Behörden das Gebäude ab.

Roland Gretler (Dialekt):

Ich befand mich dort hinten am Abend des 29. Juni, dort beim Sihlquai bei den Tramhäuschen. Den ganzen Nachmittag war ich noch mit organisatorischen Arbeiten beschäftigt. Wir organisierten die Demonstration. Und auf diesem Platz zwischen Bahnhof und Central hatten sich inzwischen Tausende von Jungen angesammelt, die zur Demonstration für das Autonome Jugendzentrum kamen. Wir beabsichtigten vor dem Globus, Ansprachen zu halten und zu orientieren, was jetzt ansteht. Aber dann haben sich dort oben, wo Winterthur Versicherung steht, ein paar Herren eingerichtet, die Leitung der Stadtpolizei und riefen plötzlich: „In fünf Minuten gibt es Wasser!“

Polizeikommandant Rolf Bertschi (Dialekt):

„Lösen Sie sich auf, dort beim Central!“ – „Wenn sie das nicht machen, wird es Konsequenzen geben!“ – „Ich bitte Sie, vernünftig zu sein...“ – Wenn Sie nicht weggehen, gibt’s Wasser!“

Roland Gretler (Dialekt):

Diese Ankündigung: In fünf Minuten gibt’s Wasser – obwohl sie sehr trocken und in grimmiger Sprache, fast militärisch durchgegeben wurde, haben wir da unten gelacht und geklatscht. Die meisten riefen: „Ja also Wasser! Wasser!“ – Wir fanden es lustig, denn es war ein ganz heisser Tag. – Und tatsächlich rollten diese Polizeimänner die Schläuche aus. Es ging ziemlich archaisch zu und her mit den Feuerwehrschläuchen. - „Alle mal anfassen!“ und solche Kommandos hörte man.

Verena Voiret (Dialekt):

Wir haben immer noch gelacht, gewartet und gerufen: „Kommt jetzt endlich das Wasser!“

Verena Voiret (Dialekt):

Aber irgendwann ist es dann gekippt. Wir bemerkten es, weil die angefangen haben zu spritzten, als die Leute bereits abgezogen waren. Das wäre nicht nötig gewesen. Und dann begannen sie, einzelne herauszupflücken und da hinein zu transportieren. Da merkte man: Das war geplant. Die fielen uns in den Rücken. Die wollten uns eine Lektion erteilen.

Globuskeller

Silvio R. Baviera (Dialekt):

Ich wurde von verschiedenen Polizisten abgeführt, hier ins Globusprovisorium, in den Haupteingang. Dort wurde ich wieder empfangen. Einer hielt mich fest, während verschiedene Polizisten auf mich einschlugen. Nach einer Weile sagte man, es gehe da hinunter, rechts. An diese Treppe kann ich mich erinnern. Da lagen die Schläuche, die sie brauchten, um die Leute draussen abzuspritzen. Und als ich dann unten ankam, hatte es neben der Türöffnung einen Sandhaufen. Dort bin ich irgendwie gelandet. Daneben standen Polizeifahrzeuge, welche die Leute zur Hauptwache brachten.

Peter Spring (Dialekt):

Von allen Seiten sind sie auf uns losgestürmt, haben uns zusammengeknüppelt. Jeden Meter stand einer und jeder schlug mich, war wie ein Spiessruten laufen, bis hinunter. Und ich sah aber auch rundherum, wie sie auch andere misshandelten. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, es hatte irgendeinen Jungen neben mir mit langen Haaren. Das war damals immer noch für sehr viele Polizisten ein rotes Tuch. Die haben ihm mit einem Taschenmesser die Haare geschnitten. Und er hatte geschrieen.

Was ich heute noch nicht begreife, ist dass ich hier zusammengeschlagen werde, dann kommt der Hubatka, ein hoher Polizeioffizier, ich rede mit ihm, ich frage, warum er nicht eingreife, er hat irgendeine faule Ausrede – und am anderen Tag sagt er, er haben von nichts gewusst. Das ist etwas, das ich eigentlich heute noch nicht begreife. Es war mir eine Lehre, ich habe eine gewisse Naivität verloren, nämlich dass man einfach schamlos lügt aus politischen Gründen.

Wohnhaus in Hausen

Esther Burkhardt (Dialekt):

Dass wir Telefonanrufe erhielten: Die Fleischerhaken seien bereit, um alle von uns aufzuhängen an den Brücken der Limmat. Solche Anrufe mit Morddrohungen! – Ich meine, wir waren völlig normale Familien, wir haben gearbeitet, studiert, hatten kleine Kinder... Es war auch lächerlich, denn eigentlich ging das Ganze um ein Jugendhaus. Ich weiss nicht, ob du dich erinnern kannst. Das erste Zürichfest war etwa 1953, als wir bereits Geld sammelten für eine Jugendhaus. Und bis 1968, 69 gab es das immer noch nicht. – Das Globusprovisorium stand leer. Man versprach, es abzubrechen. Freie Sicht auf die Limmat. – Geh mal schauen, es steht heute noch. Es ist kotzhässlich! - Aber damals stand es ja leer, und dass das dann so eine Aggression auslöst bei der Polizei... Das zu erleben, so nah...

Rathaus

Alfred Messerli (Dialekt):

Die Stimmung war sehr angeheizt. Als Journalist für den „Tages-Anzeiger“ habe ich die ganzen Krawalle miterlebt und darüber geschrieben. Und ausgerechnet am Mittwoch darauf, am 3. Juli, stand das Geschäft Untersuchungskommission Meier 19 auf der Traktandenliste. Ich habe zusammen mit dem Ratsbüro eine dreifache Sitzung anberaumt, die ich präsidiert hatte neu als Ratspräsident. Aber da wurde natürlich nicht über Meier 19 gesprochen, sondern über die Jugendunruhen. Durch die ganze aufgeheizte Stimmung und die gereizte Atmosphäre im Rat im Zusammenhang mit den Jugendunruhen ging der Untersuchungsbericht über Meier 19 stark unter. Es hatte keine weiteren Folgen gehabt. Er wurde ad acta gelegt.

Paul Bösch (Dialekt):

Dabei zeigte der Bericht, dass Meier 19 im grossen Ganzen recht hatte. Wenn ein einziger Polizeibeamter wie der Meier 19 so viele Fälle vorweisen kann – es gab damals 1'000 Polizeibeamte in der Stadt Zürich -, dann kann man daraus ableiten, dass dies eigentlich wie eine Stichprobe ist. Da steckt viel mehr dahinter. Man hätte dies viel ernster nehmen müssen.

Meier 19 (Dialekt):

Ich kam hierher mit grösster Hoffnung und habe mich kurz umgesehen. Es war alles besetzt, und es verging noch längere Zeit, bis das Traktandum zur Abstimmung kam. Enttäuscht war ich, weil ein drittel der Parlamentarier sich bereits in die Tageszeitung vertieft hatten. Ich wartete den Verlauf der Versammlung nicht mehr ab. Ich ging total erschlagen aufs Limmatquai hinaus und konnte es nicht begreifen, dass ich wieder stehen gelassen wurde – mit Nichts.

Café Odeon

Rodolphe Widmer (Dialekt):

Die Presse war voll mit Berichten gegen Meier 19. Ich hatte mit ihm sympathisiert und nahm Kontakt mit ihm auf. Da erzählte mir Meier von seinem Verdacht in Sachen Zahltagsdiebstahl. Ich hatte zuerst grosse Mühe, das zu glauben. Zuerst fand ich: Aber das ist doch nicht möglich, dass der Hubatka, also der Chef der Kriminalpolizei, dieses Geld gestohlen hat! Diese 88'000 Franken. – Das wollte mir zuerst nicht in den Kopf, und ich fragte mich: Ist der Herr Meier eventuell nicht ganz richtig im Kopf? - Aber dann gab er mir Details, und ich fand, es sei doch eine ernsthafte Sache. Daraufhin verfasste ich, aufgrund der Angaben von Herrn Meier, eine Schrift unter dem Titel: „Ist Dr. Hubatka der Zahltagsdieb?“

Fotosequenz Restaurant „Weisser Wind“

Kommentar (hochdeutsch):

Mit dem Anklagepapier veranstaltete Meier 19 eine Pressekonferenz. Die Stadtpolizei habe in eigener Sache ermittelt. Leiter dieser Ermittlungen sei Kripochef Walter Hubatka gewesen, der selber verdächtig sei. Als Hubatka den Tresor abtransportieren liess, habe anschliessend ein Doppelbartschlüssel gefehlt. Polizist Wendel habe Hubatka in der Tatnacht dreimal in der Nähe des Tatorts gesehen.

Alfred Messerli (Dialekt):

Man hatte wohl Indizien gefunden, aber sie reichten nicht aus für eine Anklageerhebung. Also klare Beweise über eine Schuld oder Nichtschuld hat man zum Zahltagsdiebstahl bis heute nicht beigebracht.

Café Odeon, Nationalbank

Rodolphe Widmer (Dialekt):

Daraufhin sind wir ziemlich rasch in einen Ehrverletzungsprozess hineingezogen worden. Ich führte die Verteidigung vor der dritten Abteilung des Bezirksgerichts Zürich. Die Richter haben meine Argumente überhaupt ignoriert, von A bis Z, und haben Herr Meier und mich zu fünf Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt. Darauf meldete ich sofort Berufung an. Die ganze Sache versandete in der Verjährung – und trotzdem erwähnte mich die Neue Zürcher Zeitung mit vollem Namen und hat einen Hinweis auf meine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nationalbank bekannt gegeben. Ich bekam Schwierigkeiten, ging zur Direktion und reichte meine Demission ein. Ich bewarb mich ungefähr hundert Mal bei verschiedensten Firmen – alles umsonst. Und ich bin deswegen sage und schreibe dreieinhalb Jahre lang arbeitslos.

 

Fotosequenz

Kommentar (hochdeutsch):

Der arbeitslose Bankier blieb nicht untätig. Im Namen Meiers bombardierte er Polizei und Justiz mit zahlreichen Klagen. Das war ihre Strategie, um an die Akten des Zahltagsdiebstahls zu kommen. – Die Rechnung ging auf. Im April 1971 erhielt Meier 19 vollumfängliche Akteneinsicht - und entdeckte eine Sensation.

In Meiers Alterswohnung

Meier 19 (Dialekt):

Da liegt also das Alibipapier von Dr. Hubatka, der polizeilicher Untersuchungsleiter war. Und genau dieser Mann – ich konnte das kaum fassen – hatte als einziger vom tausendköpfigen Korps ein falsches Alibi abgegeben. Da wurde er gefragt wie alle anderen, ich auch: „Sind Sie im Hause gewesen in der Tatnacht?“ – Er hat genau die zweieinhalb Stunden weggelassen, in denen er vom Zeugen Wendel gesehen wurde.

TV-Studio

Daniela Lager (Dialekt):

Alle Polizisten mussten einen Fragebogen ausfüllen, ob sie in der Tatnacht in der Nähe der Hauptwache waren. Die Antworten von Herr Hubatka waren nicht nur falsch, sondern auch manipuliert. Das sagen Sie wenigstens in Ihrem Buch. – Wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gekommen?

Paul Bösch (Dialekt):

Das war falsch, weil er im Fragebogen die Zeit nicht angegeben hatte, in der er tatsächlich dort gesehen wurde...

Daniela Lager (Dialekt):

... auf der Urania-Hauptwache...

Paul Bösch (Dialekt):

...auf der Urania-Wache, in der Nähe des Tresors. Und ich schaute dann diesen Fragebogen genauer an. Da waren mit Schreibmaschine Uhrzeiten eingetragen. Ich betrachtete diese Zahlen, sehe eine Drei, die oben spitzig ist, sehe eine andere Drei, die oben rund ist – und da ging mir plötzlich auf: Auf diesem Fragen befinden sich zwei Schreibmaschinenschriften. Der wurde nachträglich in einem Detail korrigiert. Und als ich das sah, und realisierte, dass sich da Skandal an Skandal häuft... – das hat mich erschüttert.

Rolle 5

In Meiers Alterswohnung

Meier 19 (Dialekt):

Da haben wir Aussagen von Polizist Wendel. Er hatte gesagt, in diesen zweieinhalb Stunden, als Hubatka sagte, er sei nicht im Amtshaus gewesen, habe ich ihn dreimal gesehen vor dem Tatbüro hin und her gehen. Er wurde einvernommen, und irgendeiner verfügte diese Einvernahme ad acta.

TV-Studio

Daniela Lager (Dialekt):

Also fassen wir an dieser Stelle nochmals zusammen, Herr Bösch: Das Alibi von Kripochef Hubatka war falsch. Es gibt sogar ein Zeuge, der ihn in der Tatnacht gesehen hatte in der Hauptwache Urania und das auch schriftlich bestätigt hatte: der Polizist Wendel. Und zu dieser Befragung gibt es ein Einvernahmeprotokoll von Wendel – nur, das hatte keine Folgen! – Warum eigentlich?

Paul Bösch (Dialekt):

Erst im nachhinein, widerrechtlich, hat einer hineingefügt: ad acta. Das sind Worte, die bedeuten, dass die Einvernahme polizeiintern verschwindet.

Daniela Lager (Dialekt):

Wer diese Anweisung gegeben hatte, weiss man nicht?

Paul Bösch (Dialekt):

Das weiss man nicht. Der Kurt Meier hatte damals wiederholt verlangt, dass man Schriftproben nimmt, das analysiert und herausfindet. Es wurde alles niedergeschlagen.

Daniela Lager (Dialekt):

Und das könnte man auch heute nicht mehr herausfinden, Herr Bösch?

Paul Bösch (Dialekt):

Doch, das könnte man im Prinzip herausfinden. Ja.

Rathaus

Paul Bösch (Dialekt):

In diesem Saal wurde 1973 im Kantonsrat das falsche Alibi diskutiert. Die Hauptfrage war: Stimmt es, dass der Kripochef Hubatka ein unkorrektes Alibi abgelegt hatte? – Der Justizdirektor Bachmann, dort vorne sass er jeweils, hätte dies beantworten müssen. Aber stattdessen hatte Bachmann die ganze Sache vernebelt und tat so, als sei alles in bester Ordnung. Daraufhin fand eine Debatte statt. Davon wurde ein Protokoll angelegt. Und in diesem Protokoll wurden sogar gewisse Dinge, die gesagt wurden, verfälscht. Zum Beispiel da. Es gibt auch ein Tonband von dieser Debatte. Da wurde klar gesagt, das Alibi von Hubatka sei nicht stubenrein. Das hatte ein Kantonsrat gesagt. – Was steht da im Protokoll? „So vollständig und stubenrein sind die angegriffenen Alibis auch wieder nicht“. Man hatte den Namen Hubatka einfach getilgt.

In Meiers Alterswohnung

Meier 19 (Dialekt):

Das hatte mich natürlich weiter beschäftigt. Ich verlangte drei Audienzen, eine bei Stadtpräsident Widmer, eine bei Stadtrat Maurer und eine beim Finanzvorstand Bieri.

Sechseläuten-Umzug

Der Stadtrat Bieri war ein hochgeachteter Mann. Er war nicht nur Stadtrat, er war Finanzvorstand, Major im Generalstab, er war Jurist, Theologe, Bankrat und Nationalrat. Er wusste, dass ich eine heisse Spur habe im Zahltagsdiebstahl bei der Stadtpolizei. Und er hatte mit mir eine Audienz abgemacht. Wieso diese Audienz in diesem Café erfolgen musste, ist mir natürlich auch klar: aus strategischen Gründen. Ich glaube, seine Kollegen sollten es nicht wissen, dass er mich ausseramtlich trifft – und er wird ihnen auch nicht gesagt haben, was er vorhatte mit mir. – Ich müsse einfach zum Stadtarzt, dort liege alles bereit, ich müsse bloss unterschreiben: eine leichte psychische Invalidität. – ein Schreckensmoment in meinem Leben. Ich hatte auch entsprechend reagiert. Ich sagte: „Mit mir niemals – eher würde ich samt meiner ganzen Familie verhungern!“

Wir waren eine glückliche Familie, zwei Kinder – und alles wurde zerstört. Aber ich habe aber nie aufgegeben, dass das alles noch korrigiert werden muss.

Rathaus

Ernst Bieri (Dialekt):

Schade, dass Sie das Angebot nicht angenommen hatten, als ich versuchte, über die Versicherungskasse ...

Meier 19 (Dialekt):

...Dann wäre ich ein Betrüger gewesen!

Ernst Bieri (Dialekt):

Das ist Ihre Meinung, dass Sie ein Betrüger gewesen wären. Aber praktisch, weil Sie sagten, Sie wollten vor allem auch finanziell entschädigt werden – es solle finanziell wieder gutgemacht werden, das ist Ihre Meinung...

Meier 19 (Dialekt):

... Ich wollte arbeiten bei der Stadt, ich wollte nie weg von der Polizei...

Ernst Bieri (Dialekt):

Aber wenn Sie diese Rente bekommen hätten, dann hätten Sie jetzt während 30 Jahren oder 35 Jahren jeden Monat eine Invalidenrente erhalten...

Meier 19 (Dialekt):

Ja aber meine Frau hätte nicht mehr gewusst: Spinnt dieser Mann, oder spinnen diejenigen, welche diesem gesunden Mann eine Rente geben. Nein nein – und auch meine Kinder... In jedem Streitfall hätten sie sich gesagt: „Spinnt der vielleicht doch?“

Paul Bösch (Dialekt):

Ich glaube, das muss man ihm hoch anrechnen, dass er sich nicht für dieses Geld psychisch invalid erklären lassen wollte. Das muss man ihm anrechnen.

Ernst Bieri (Dialekt):

Ja, das tue ich. Aber es wäre möglich gewesen, eine Invaliditätsrente auszurichten. Es wird ja in vielen Fällen so gemacht.

In Meiers Alterswohnung

 

Meier 19 (Dialekt):

Nachdem ich die Behörden eigentlich angefleht hatte, den Skandal abzuwenden, nicht reagierten, gab ich dieses Flugblatt heraus. „Wir fragen schon lange: Warum wird Dr. Hubatka gedeckt?“ – Es sind fünf klare Sätze, die hätten zum Durchbruch führen müssen. Was geschah? – Dr. Hubatka klagte mich ein wegen Ehrverletzung, und zwar zum zweiten Mal. Für jeden Satz hatte mir Geschworenengerichtspräsident Bantli – sage und schreibe – einen Monat unbedingt Gefängnis aufgebrummt. Es wurden sechs Monate aus fünf Sätzen, es kam noch einer dazu: für jeden Satz einen Monat Gefängnis. Er verhängte das Maximum der Strafe, die im schweizerischen Strafgesetzbuch zulässig ist für eine Ehrverletzung. Höher darf man nicht mehr gehen.

Vor Meiers früherem Haus

Als ich nach einer Gerichtsverhandlung nach Hause kam, stellte ich zu meinem Schrecken fest, dass der Schlüssel an der vorderen Türe nicht mehr geht. Da dachte ich: „Gut habe ich damals einen Passepartout erstellt“. Ich wusste sogleich, wer das Schloss ausgewechselt hat. Und mir wurde sofort klar: jetzt hat meine Frau die Scheidung eingereicht. Jetzt hast du alles verloren. Ich wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Ich war auch ums Verhältnis mit meinen Kindern im Zweifel.

Hallo Bobby! ... Den kenne ich natürlich noch. Den habe ich mit der Tochter im Tierheim abgeholt, als er noch ganz klein war. Und jetzt ist er so gross geworden. Aber er kennt mich nicht mehr. Aber ist ein schöner geworden.

Doris Kürsteiner (Dialekt):

Ich glaube, der kennt dich noch sehr wohl. Di ersten Tage hatte er doch mit dir verbracht. – Er ist immer eifersüchtig, wenn ich mich mit jemandem abgebe, will er sich immer einmischen.

Je älter ich wurde, desto mehr begriff ich, was geschehen ist. Und ich muss sagen, es ist auch heute eher stärker als damals, dass ich realisiere, dass die Familie auseinanderbrach durch das Ganze. Aber mit Ja und Amen sagen ist es nicht getan. Und das war das, was ich an meinem Vater bewunderte und immer noch bewundere, dass er etwas durchgezogen hatte für die Gerechtigkeit. Auch wenn man zwischendurch einmal glauben konnte, es hätte vielleicht gar keinen Sinn. Aber sich für eine gute Sache einzusetzen und für ein Ziel: das lohnt sich!

Bezirksgefängnis Uster

Meier 19 (Dialekt):

In dieser Zelle habe ich meine Strafe abgesessen. Und die Justiz, die das veranlasst hatte, sorgte dafür, dass dies genau in die Zeit meiner Scheidungsverhandlung fiel. Und der Gerichtspräsident, der dies anordnete, war zugleich der Vater meines Gegenanwalts, das heisst der Scheidungsanwalt meiner Frau. So ging das vor sich, und so wollten die mich fertig machen.

Den Aufenthalt in diesem Loch konnte ich nur überstehen, indem ich von morgens bis abends Holz spaltete. Und bei jedem Klotz, den ich sprengte, war ich mir sehr wohl bewusst, wer mich dahin gebracht hatte.

TV-Studio

Daniela Lager (Dialekt):

Wenn Sie zurückschauen, Herr Meier, jetzt mit 75, was hat Sie stärker beschäftigt in Ihrem Leben: War es Ihre schwierige Kindheit oder nachher die schwierige Geschichte mit der Polizei?

Meier 19 (Dialekt):

Also die schwierige Kindheit war schon schlimmer gewesen. Ich bekam keine Liebe bekommen, und daraus entstand für mich auch einen bleibenden Nachteil – in diesem Sinne hatte mir meine Vater schwierigere Aufgaben ins Leben mitgegeben als Hubatka.

Rolle 6

Am Grab von Meiers Vater

 

Meier 19 (Dialekt):

Vater, ich habe in meiner Beziehung zu dir in meiner Jugend das Weinen verlernt. – Warum haben wir uns nicht gefunden? Du hast immer nur eine lose Hand gehabt mir gegenüber. Und einmal, das kann ich dir nie vergessen, hast du mich fast zu Tode geschlagen. Ich weiss es nicht, was du gedacht hast. Einerseits habe ich Bedauern mit dir. Du warst ein Arbeitsmensch, vor allem das hattest du im Sinn – und nicht zuletzt aus materiellen Überlegungen heraus. – Die Kinder – vor allem mich – hast du total vergessen! Ich kann dies nicht begreifen und möchte dir sagen: Mach es ein andermal besser, wenn du es kannst...

 

In Meiers Alterswohnung

Meier 19 (Dialekt):

Ich möchte sagen: mein Vater hat mich tiefer getroffen als Hubatka. Ich habe das noch nicht verarbeitet. Und ich habe mich ganz negativ geäussert über den Vater, was zur Folge hatte, dass ich eine schlaflose Nacht verbrachte. Er starb mit 90 Jahren, und ich mache mir da gar nichts vor: Ich bin auch bald 75, also nicht mehr weit von jenem Alter entfernt, welches mein Vater schon lange überschritten hat. Wahrscheinlich ist es die grösste Aufgabe meines Lebens, die ich noch bewältigen muss: Meinem Vater total zu vergeben, denn auch ich habe Fehler gemacht.

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